2011 – Am Rad gedreht: Die Räderbranche hatte ihre Aufreger

Gleich drei aufregende Themen beherrschten das Räderjahr 2011: Die (erneute) Insolvenz der Edelmarke BBS, die (plötzliche) Verhaftung des ehemaligen Felgenzaren Rüdiger Höffken und die (überraschende) Akquisition des weltgrößten Räderherstellers Hayes Lemmerz durch Brasiliens Iochpe-Maxion. Und es steht zu erwarten, dass diese drei Aufreger auch im kommenden Jahr noch ganz oben auf der Agenda stehen werden. Die Räderbranche mag in den entwickelten westlichen Ländern gesättigt und im Bereich der Stahlräder auch weitgehend konsolidiert sein, Bewegungen sind aber auch weiterhin zu erwarten. Und zwar vor allem im Zuge der immer noch fortschreitenden Globalisierung und angesichte der Investitionen der Automobilbranche in den sich entwickelnden aufstrebenden Märkten, für die oftmals auch das Akronym BRIC oder neuerdings BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China plus Südafrika) verwendet wird.

BBS – Warten auf bessere Zeiten

Die teilweise langjährigen Mitarbeiter des Traditionsunternehmens mit dem in der automobilen Welt so wohlklingenden Kürzel BBS sind zu bedauern und zu bewundern. Zu bedauern, dass sie nach einigen goldenen Jahren im letzten Jahrtausend erst unter dem Niedergang – aus den verschiedensten Gründen, nachgekartet werden soll an dieser Stelle nicht – leiden mussten und nach der Insolvenz von BBS im Jahre 2007 vom Regen in die Traufe kamen. Statt zu der vom Insolvenzverwalter eigentlich favorisierten italienischen Lösung kam es zu einer belgischen in Form der Punch-Gruppe und im Besonderen dessen Protagonisten Guido Dumarey. Dumarey meinte sich aufschwingen zu können zum Nachfolger des BBS-Gründers Heinrich Baumgartner. Der soll – berichten langjährige BBSler – zwar vor allem in seinen letzten Jahren auch immer autokratischere Verhaltensweisen in seinem Unternehmen an den Tag gelegt haben, unumstritten war bei den Mitarbeitern aber stets der Respekt vor dem unternehmerischen Lebenswerk Heinrich Baumgartners und seiner fachlichen Kompetenz.

Die Hoffnung auf bessere Zeiten unter Guido Dumarey, der mit vollen Auftragsbüchern hätte durchstarten können, hatte sich schnell in Luft aufgelöst. „Das Klima“ sei eiskalt geworden, Mitarbeiter geradezu verängstigt, so Kunden des Hauses über die Zeit nach der 2007er Insolvenz. Der vom renommierten Insolvenzverwalter Wellensiek ausgewählte belgische Investor hatte in 2007 die „Heuschrecken“ verhindert, aber hätte es mit denen schlimmer kommen können, muss in der Rückschau gefragt werden? Um so erstaunlicher, wie viele Mitarbeiter „ihrer“ BBS die Treue hielten und immer noch halten angesichts einer ja durchaus verbesserten Situation auf dem regionalen Arbeitsmarkt. Sicherlich haben dazu auch die bei dem Unternehmen traditionell recht starken Gewerkschaften beigetragen, die auch kein Interesse daran haben konnten, dass der „Laden auseinanderfliegt“ und wertvolle Arbeitsplätze und ganz wertvolle Kompetenz verlorengehen würde.

2011 stand ganz im Zeichen der zweiten Insolvenz. Kann ein Unternehmen zwei Pleiten innerhalb von weniger als vier Jahren aushalten? Die BBS-Mitarbeiter warten und hoffen jedenfalls, dass bald bessere Zeiten anbrechen. Eines muss man im Nachhinein als klaren und bereits seit den 90er-Jahren stets „gepflegten“ Managementfehler bewerten: Die Einheit der BBSler wurde nicht gefördert, sie ist nachhaltig lädiert worden. Auf der einen Seite stehen die Schiltacher, die „Seele“ des Unternehmens, auf der anderen die Herbolzheimer, denen infiltriert worden ist, die „Perle“ des Unternehmens zu sein. Die „Seele“ von BBS hat Schaden genommen, wem es gelingt, sie erneut zu beleben, der kann auf Tradition im besten Sinne bauen und Freude an einem Standort Schiltach haben. Die „Perle“ ist verblasst; als die Lackieranlage in Herbolzheim in den 90er-Jahren installiert worden war, war sie die modernste der Branche, inzwischen ist sie überholt und die fehlende Gießerei ein Manko. Der Standort aber liegt verkehrsgünstig, wenn Ronal dort Räder hat produzieren lassen, dann ist das ein Qualitätssiegel. Dass sich aber auch nicht einer der großen Hersteller von Aluminiumfelgen für die Erstausrüstung bei der zweiten Insolvenz mit Verve um Herbolzheim bemüht hat, ist angesichts ihres Buhlens aus dem Jahre 2007 kaum erklärbar, womöglich werden sie diese Passivität eines Tages noch bereuen.

RH – Endloses Warten

Wer Rüdiger Höffken (64) kennt, der kann nachempfinden, wie schwer die monatelang währende Untersuchungshaft auf ihm lasten muss. Höffken ist – unbenommen der Vorwürfe, die gegen ihn und seinen Spezi Christoph Hoffmann (51) von der Staatsanwaltschaft Bochum erhoben werden – ein äußerst kommunikativer Mensch, er braucht den verbalen Austausch wie die Luft zum Atmen. Er war mit seiner Marke RH Alurad in den 90er Jahren der Star des deutschen Ersatzmarktes für Aluminiumfelgen, hat technisch-kreativ geglänzt mit Innovationen wie dem Tiefbett oder Mehrteilern und hat Marketing in einer Branche betrieben, in der andere dachten, es würde immer so weitergehen wie im Jahrzehnt davor, als es ausreichte erfolgreich zu sein, wenn man hier und dort einige Räder gnädigst zuteilte. Höffken umgab sich gern mit Prominenten, vor allem aus dem Leistungssport, und er begnügte sich nicht mit den Sternchen der zweiten Reihe. Er war Schatzmeister bei Schalke 04, Mäzen des 1. FC Köln, einer Stadt, in der er es zu größter Popularität gebracht hatte: Rüdiger (Karnevalisten genügt der Vorname) gab 2006 den Bauern im Kölner Dreigestirn, ab Herbst des Jahres aber kippten die Schlagzeilen in der lokalen Presse.

Für die Steuerbehörden war Höffken alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Dass es diverse Hinweise von „Opfern“ des Unternehmers an die Staatsanwaltschaft gab, die eine Rechnung mit ihm zu begleichen gedachten, mag man auch als Denunziation werten, als Unschuldslamm hat sich R. H. nie geriert. Sein Selbstbewusstsein konnte auch nicht erschüttert werden, als er nach fast zwei Jahren Ermittlungen im Sommer 2008 wegen Steuerhinterziehung einen Strafbefehl über ein Jahr Gefängnis auf Bewährung und 150.000 Euro Geldstrafe zu akzeptieren hatte. Mitte Oktober 2008 waren der Aluräderanbieter RH Alurad samt seiner Zweitmarke Artec und der beiden Produktionsstätten in Polen und Ladenburg insolvent, wenige Tage drauf hat Rüdiger Höffken auch Privatinsolvenz angemeldet. Im Alter von 61 Jahren drohte sich das berufliche Lebenswerk des Rüdiger Höffken aufzulösen.

Bei „seiner“ RH Alurad war dies auch so: nach mehr als einem quälenden Jahr Neuanfang mit neuen Gesellschaftern, darunter ausgerechnet auch der ehemalige Artec-Geschäftsführer. Hausverbot für Rüdiger Höffken im Hause RH. Aber Lebenszeichen von der anderen Seite des Berges im Städtchen Attendorn in Form eines neuen Räderanbieters namens ICW, bei dem ein gewisser Rüdiger Höffken ein und aus ging und wie früher in stattlicher Karosse vorfuhr. Dank Höffkens Erfahrung und gestützt durch ehemalige Vertraute gab es einen in der Branche beachteten ersten Höhenflug der noch jungen Firma ICW! Im Juli 2011 aber wurde der abgesetzte Felgenzar begleitet von diversen Hausdurchsuchungen festgesetzt.

Über die letzten Jahre sind im Zusammenhang mit der Causa Höffken Beziehungen zerbrochen, finanziell vermeintlich gesicherte Existenzen erwiesen sich als auf Sand gebaut. Manch einer meinte, ein Stück vom Glanze würde auch auf ihn abstrahlen. Manch einer ließ sich verführen und wollte ein klein wenig „wie der Rüdiger“ sein. Wo man hinblickt: Verlierer. Selbst die neuen RH-Gesellschafter mussten sich gegenüber Halbinformierten immer wieder erklären, dass ein Rüdiger Höffken mit dem jetzigen Unternehmen ja gar nichts mehr zu tun hat. Gerüchte schießen ins Kraut: Wer so lange „im Kahn“ sitze, der müsse ja was zu verbergen haben. In einem Schweizer Tresor sei ein großer Batzen Gold gefunden worden, der dem ehemaligen Felgenzaren zuzuordnen sei usw. usw. Was ist noch alles zu erwarten?

Hayes Lemmerz – Das war nicht zu erwarten

Im Rahmen der Insolvenz im Jahre 2009 galt der weltgrößte Räderhersteller Hayes Lemmerz als „Schnäppchen“ und wäre wohl für weniger als 200 Millionen US-Dollar an einen Käufer gegangen – in seiner Gesamtheit wohlgemerkt. Doch keiner mochte sich für den Konzern interessieren, auch die potenziell veräußerbaren Filetstücke wurden nicht angefasst. Wahrscheinlich kam das Angebot für den brasilianischen Wettbewerber Iochpe-Maxion zur Unzeit, denn der kaufte gerade dem US-Automobilzulieferer ArvinMeritor sein Rädergeschäft – bestehend im Wesentlichen aus zwei Pkw-Stahlräderfabriken in Mexiko und Brasilien – für 180 Millionen Dollar ab. Dumm gelaufen.

Denn für den Brocken Hayes Lemmerz will Iochpe-Maxion jetzt gleich 725 Millionen Dollar an dessen Investoren überweisen, sofern die im Oktober veröffentlichten Verkaufsverhandlungen wie erwartet im ersten Halbjahr 2012 abgeschlossen werden. Dass die Investoren mit ihrer Beteiligung an Hayes Lemmerz – war bereits von 2001 bis 2003 einmal pleite – unzufrieden waren und einen Ausstieg gesucht haben, hatte man gehört. – Aber eher an andere Heuschrecken gedacht, an die man das Paket hätte weiterschieben können. Die Brasilianer hatte kaum jemand als potenziellen Käufer auf dem Zettel, mussten sie doch noch die Akquisition von ArvinMeritor verdauen und sind deutlich kleiner als Hayes Lemmerz.

Eine (nicht immer unbedingt zutreffende, in der Tendenz aber vielleicht nicht falsche) Weisheit bei Unternehmensaufkäufen lautet: Das Kleine passt ins Große, aber nicht das Große ins Kleine. Genau diese Weisheit will Iochpe-Maxion Lügen strafen. Die Brasilianer konnten im ganzen Jahr 2010 gut 900 Millionen Euro umsetzen, das hat Hayes Lemmerz auch schon mal geschafft – in der Hälfte der Zeit. Aber Iochpe-Maxion ist nun mal auf Einkaufstour: Im März erst – also noch vor der Ankündigung des Deals mit Hayes Lemmerz – hatten die Brasilianer in Mexiko für Marktbereinigung gesorgt und einen kleineren Wettbewerber im Stahlrädergeschäft übernommen.

Weil mit der mefro-Gruppe auch der große europäische Gegenspieler die Marktbereinigung bei Stahlrädern vorantreibt – im Herbst 2010 mit der Übernahme eines kleineren Pkw-Stahlräderherstellers in Argentinien und im Frühjahr die Übernahme der durchaus bedeutsamen Lkw-Stahlräderproduktion von Kamaz in Russland –, ist ein Großteil des globalen Marktes für Stahlräder bereits ziemlich weitgehend aufgeteilt: Die Kombination Iochpe-Maxion/Hayes Lemmerz ist gut positioniert im gesamten amerikanischen Raum, hat Stahlräderwerke in Indien (für Pkw und Nfz, bringt Hayes Lemmerz über ein Joint Venture ein) und China (für Nfz, bringt Iochpe-Maxion ein), ist in Europa bestens aufgestellt (Hayes-Lemmerz bringt hier Stahlräderwerke in Deutschland, Spanien und Tschechien ein) sowie in der Türkei (ebenfalls ein Joint Venture), wo sich auch eine Fabrik für Pkw-Aluminiumräder befindet.

Und das ist das Stichwort, auf das „hingeschrieben“ wurde. Von mefros geschäftsführendem Gesellschafter Dr. Alfred Fischbacher ist der Satz in bester Erinnerung: „Wir sind Stahlleute.“ Und wenn man sich sämtliche Aktivitäten von Iochpe-Maxion anschaut, kann man nur zu dem Schluss gelangen: Das sind auch „Stahlleute“. Was wird denn aus dem Geschäft mit Pkw-Aluminiumrädern unter dem Dach der Brasilianer?

Warten wir’s ab. detlef.vogt@reifenpresse.de

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