Ugo Forner, Direktor der Geschäftseinheit „Truck“ bei Pirelli, im Interview

Die NEUE REIFENZEITUNG hatte Gelegenheit zu einem Interview mit Ugo Forner, Direktor der Geschäftseinheit „Truck“ bei Pirelli mit weltweiter Verantwortung. Der Pirelli-Manager gibt Ein- und Ausblicke in das für den Reifenhersteller so wichtige Segment. Während hierzulande Pirelli ganz überwiegend als Pkw-Marke wahrgenommen wird, ist dies in vielen Ländern weltweit ganz anders.

NEUE REIFENZEITUNG: Herr Forner, in manchen Regionen weltweit ist Pirelli ein starker Mitbewerber im Lkw-Reifensegment und steht sogar – wie in Südamerika oder manchem Mittelmeeranrainerstaat – an der Spitze des Marktes. Andernorts – wie in Nordamerika oder Zentraleuropa – kommt das Unternehmen nicht aus der Nische heraus. Warum?

Ugo Forner: Wenn wir in einem Markt wachsen wollen, bedarf es größerer Investitionen. Die beziehen sich nicht nur auf die Produkte und ihre Herstellung, sondern auch auf Services. Solche Investitionen sind bei uns permanent Gegenstand von Diskussionen. Dabei geht es um große Summen, aber auch darum, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Wenn Sie Zentraleuropa ansprechen: Unsere neue Serie:01 und besonders die Winterreifen der W-Linie sind ein eindeutiges Bekenntnis zu diesem Markt.

NEUE REIFENZEITUNG: Pirelli ist in sogenannten „emerging markets“ wie Südamerika oder der Türkei ein maßgeblicher Spieler im Lkw-Reifengeschäft. Aber in diesen Ländern haben Diagonalreifen nach wie vor einen recht hohen Anteil – Reifen, die technologisch von gestern sind.

Ugo Forner: Unser Fokus ist auf Stahlgürtel- und Schlauchlosreifen gerichtet, das gilt für sämtliche Märkte weltweit. Wir bedienen einige Märkte tatsächlich nach wie vor in einem beschränkten Umfang mit Lkw-Diagonalreifen, aber investieren nicht in dieses Segment, sondern ersetzen vielmehr diese alte Technologie sukzessive durch moderne Radialreifen, wann immer der Markt dies nahelegt.

NEUE REIFENZEITUNG: Wie Pirelli angekündigt hat, wird das Unternehmen in Russland verstärkt ins Geschäft einsteigen und will im Lande unter anderem auch Lkw-Reifen produzieren. Andere bedeutende Marktteilnehmer haben angekündigt, kräftig in den indischen Lkw-Reifenmarkt investieren zu wollen. Der Chairman des Pirelli-Konzerns Marco Tronchetti Provera hat gesagt, er sehe die Infrastruktur Indiens noch nicht weit entwickelt genug. Wann wird Pirelli an diesem Markt nicht mehr vorbeigehen können – bei einem Anteil von 20 Prozent Lkw-Radialreifen?

Ugo Forner: Irgendwann wird der Punkt kommen, das glauben auch wir. Aber heute erscheint uns der indische Markt wie ein Schwarz-Weiß-Szenario: Einige Wirtschaftszweige entwickeln sich sehr gut, andere verharren auf schwachem Niveau. Wenn wir eines Tages in den indischen Markt verstärkt gehen, dann mit einiger Wahrscheinlichkeit zuerst mit Lkw- und erst dann mit Pkw-Reifen.

NEUE REIFENZEITUNG: Wer sich die neuesten Pirelli-Technologien im Lkw-Bereich anschaut, der glaubt eine gewisse Ähnlichkeit mit den Technologien des Marktführers zu erkennen.

Ugo Forner: Wir vergleichen uns mit allen relevanten Wettbewerbern und schauen, was die technologisch unternehmen. Unsere Mitbewerber machen das auch so, das ist ganz normal. Wir versuchen an technologische Entscheidungen vernunftbedingt heranzugehen und Emotionen auszuschalten. Daraus entsteht ein Produkt, dessen Leistungen man messen und mit den Produkten anderer Hersteller vergleichen kann. Der Markt entscheidet, ob unser Produktversprechen glaubwürdig ist. Wobei keiner frei von Fehlern ist, lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Als wir in den chinesischen Markt eingestiegen sind, haben wir die Problematik stark überladener Lkw schlicht unterschätzt und mussten das später mühsam korrigieren.

NEUE REIFENZEITUNG: Pirelli hat zwar eine große Anzahl Homologationen, aber erscheint in der Erstausrüstung doch sehr stark auf Iveco fokussiert zu sein. Was ist mit den anderen großen Lkw-Herstellern wie Mercedes, Volvo, MAN oder Scania?

Ugo Forner: Bei den genannten europäischen Fahrzeugherstellern haben wir tatsächlich nur geringe Anteile. Einerseits ist nun einmal nicht zu leugnen, dass wir nördlich der Alpen schwächer vertreten sind, andererseits sind aber auch unsere Produktionskapazitäten limitiert, sodass wir derzeit gar nicht wesentlich größere Kontingente übernehmen könnten. Es gilt: Je stärker eine Marktposition in einem Land, desto größer ist dort automatisch auch der Erstausrüstungsanteil. Aber das Geschäft ist global und aufgrund unserer starken Präsenz in Südamerika sprechen wir beispielsweise natürlich auch mit einem großen Lkw-Hersteller wie Mercedes, der ja auch auf beiden Kontinenten sehr gut präsent ist.

NEUE REIFENZEITUNG: Im Allgemeinen sind Reifenwerke heute sehr spezialisiert, wie beispielsweise das Lkw-Reifenwerk von Pirelli im italienischen Settimo. In Izmit ist dies ganz anders: Dort werden Pkw-, LLkw-, Lkw- und sogar Motorsportreifen sowie Stahlkord praktisch unter einem Dach hergestellt.

Ugo Forner: Das hat historische Gründe: Als wir anfangs der 60er Jahre unsere türkische Reifenfabrik errichtet haben, herrschten andere Bedingungen und die waren sehr stark an den Bedürfnissen des lokalen Marktes orientiert: Wir haben produziert, was der türkische Markt verlangte. Heute schreitet einerseits aus verschiedensten Gründen die Spezialisierung von Reifenwerken tatsächlich voran, andererseits ist die Türkei heute auch inmitten eines Absatzmarktes, der von Vorderasien bis nach Mitteleuropa reicht. Und die Fabrik in Izmit (die ja auch 1999 bei einem Erdbeben weitgehend zerstört worden war und damals erst nach einem halben Jahr zur vollen Produktion zurückkehren konnte, d. Red.) hat sich mit den Jahren weiterentwickelt und gewandelt.

NEUE REIFENZEITUNG: Sehr preisgünstige Reifen aus Fernost auch für Lkw kommen in den letzten Jahren vermehrt nach Europa und Nordamerika. Was halten Sie von deren Qualitäten?

Ugo Forner: Wir registrieren, dass sich einige dieser Wettbewerber stark verbessern, diese haben auch kräftig in modernes Fertigungsequipment investiert. Andere Fernostanbieter fallen allerdings zurück. Und zu bedenken ist auch, dass auch in Fernost die Kosten für die Reifenfertigung steigen, die Vorteile werden geringer, was wir im Übrigen auch an unserer eigenen Produktionsstätte für Lkw-Reifen in China sehen. Wir erwarten daher eine eine Selektion unter den Fernostanbietern, die noch durch die Einführung des Reifenlabelling forciert wird.

NEUE REIFENZEITUNG: In einigen Ländern des Welt tauchen vermehrt chinesische Nutzfahrzeughersteller auf. Werden die nicht ihre eigenen Zulieferer mitbringen?

Ugo Forner: Das wird wohl zu erwarten sein. Der Pkw-Hersteller Volvo ist bereits in chinesischer Hand. Aber auch die Kooperationen, die westliche Automobilhersteller in größerer Zahl in China eingegangen sind, werden keine Einbahnstraße bleiben. Eines Tages werden die chinesischen Partner sagen: Wir haben Euch geholfen, in unserem Land Fuß zu fassen, jetzt wollen wir selbst auch hinaus in die Welt. Das ist doch zu verstehen und wird meines Erachtens erst im Pkw-, dann aber auch im Nutzfahrzeugsektor der Fall sein.

Das Interview hat für die NEUE REIFENZEITUNG Detlef Vogt im Rahmen einer Produktpräsentation im türkischen Izmit geführt. detlef.vogt@reifenpresse.de

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