Rückblick 2010: Im Jahr des Tigers

Geht man nach den chinesischen Tierkreiszeichen, so war 2010 das „Jahr des Tigers“. Die Wirtschaftsmacht China ist dabei, die Vereinigten Staaten als größten Spieler im internationalen Konzert abzulösen. Deutschland umgarnt die chinesische Führung – gelegentlich halbherzig anmutender Proteste wegen Menschenrechtsverletzungen zum Trotz –, weil die Chinesen ganz begeistert von deutscher Wertarbeit sind und vor allem Luxusgüter wie Autos „made in Germany“ in großer Zahl einführen. Sofern die deutschen Hersteller die Autos nicht ohnehin bereits „im Reich der Mitte“ herstellen. China ist als Wirtschaftspartner für Deutschland bereits von überragender Bedeutung und wird immer wichtiger.

Auf der Essener „Reifen“ in diesem Jahr kamen zwanzig Prozent der Aussteller aus China, zwar natürlich hinter Deutschland, aber weit vor dem drittplatzierten Ausstellerland Italien mit einem Anteil von fünf Prozent. Und die hiesigen Messeveranstalter sind auch bereit, etwas zurückzugeben: Sie unterstützen die „Reifen China“ in Shanghai Chinesische Unternehmen sind ganz eindrucksvoll in der westlichen Reifen- und Räderindustrie angekommen, und sie zeigen ihre Tigerkrallen. Längst sind chinesische Räder- und Reifenhersteller als Erstausrüstungszulieferer anerkannt. Belieferten Cheng Shin (Marke Maxxis) und Co. erst noch heimatliche Marken bzw. auch solche aus der Region (Nissan) mit Pkw-Reifen für die Erstausrüstung, so wurde erst Nordamerika mit Ford und General Motors ins Visier genommen, dann folgten erste, wenn auch noch bescheidene Erfolge in Europa (z. B. Peugeot). Die Pkw-Aluminiumräderindustrie ist da mit Unternehmen wie Dicastal, Wanfeng oder Liufeng schon einen Schritt weiter. Im Lkw-Segment haben chinesische Reifenhersteller im Trailerbereich schon mal auch in deutschen Landen einen Anfang gemacht (Aeolus, Athos). Und Giti ist immerhin der fünftgrößte Lkw-Reifenhersteller der Welt!

Ach wie gut, dass wir unsere Pkw-Reifen testenden Fachzeitschriften haben, die die „China-Reifen“ regelrecht abwatschen und dem Tiger die Zähne ziehen. Auf den ersten Blick erscheint kurios, dass bei diesen Tests die Produkte „made in China“ wenn überhaupt, dann in einer Disziplin glänzend dastehen: beim Rollwiderstand. Die Chinesen haben also den Umweltreifen! Natürlich gibt es dafür eine Erklärung, die den Technikern der west- wie öst- oder fernöstlichen Couleur bestens bekannt ist: Der Füllstoff der Rollwiderstandsweltmeister ist Ruß, ganz primär jedenfalls: Und der wirkt sich nun mal rollwiderstandsoptimierend aus. Diese Reifen haben mal neben einem Sack Silica gestanden oder enthalten dieses vor knapp zwanzig Jahren in die Fertigung westlicher Produkte eingeführte Material nur zu einem geringen Prozentsatz. Michelin, Conti, Goodyear und Co. hingegen müssen gar nicht mehr darauf hinweisen, dass es sich bei ihren Reifen um Vollsilica-Produkte mit Anteilen von 97 oder 98 Prozent handelt. Würden sie gänzlich auf Ruß verzichten, müssten wir auf die in der Branche so geliebte „Farbe“ Schwarz verzichten. Jetzt wissen wir auch, warum China-Reifen so oft so eklatant in Disziplinen wie Nasshaftung patzen.

Doch das wird nicht so bleiben: Noch sind die Kapazitäten der Silica-Hersteller ebenso ausgebucht wie die der Hersteller von Organosilanen – die sorgen dafür, dass Kautschuk und Silica sich überhaupt „vertragen“ – oder die moderner synthetischer Kautschuke, die den Pkw-Reifenmarkt bereits beherrschen und auch bei Nutzfahrzeugreifen sukzessive versuchen, dem Naturkautschuk das Wasser abzugraben. „Die Chinesen“, sofern man das so verallgemeinernd sagen darf, kriegen manchen „Stoff“, aus dem die Hochleistungsreifen von Pirelli, Dunlop und Bridgestone gefertigt werden, einfach (noch) nicht, weil dafür nicht ausreichend Produktionsanlagen bestehen. „Aber mit Blick in meine Orderbücher weiß ist, dass sie darüber bald verfügen werden“, sagt der verantwortliche Verkaufsmanager solch eines Hightechmaterials.

Rhodia, Lanxess und all die anderen bedeutenden Zulieferer der Reifenhersteller ziehen neue Fertigungskapazitäten in nie gekanntem Ausmaß hoch, bevorzugt in Fernost (Singapur, Indien) und ganz gewiss nicht ohne Grund. Ruß bzw. „Carbon Black“ – das ja immer noch nicht zu vernachlässigende Material, mit dem ja auch gewaltige Fortschritte gemacht werden – sei nicht vergessen: Der deutsche Hersteller sowohl von Silica, Organosilanen und Ruß Evonik (früher Degussa) hat die modernsten Reifenrußwerke der Welt – und sie zum Verkauf gestellt. Chinesische Interessenten sind garantiert. Linglong, Hangzhou Zhongce oder die Triangle-Gruppe werden schon bald über die gleichen Ingredienzien verfügen wie die „Big Shots“ und müssten dann jedenfalls materialseitig nicht hintanstehen, um auch Reifen herzustellen, deren Bremswege kurz sind.

Aber der Tiger ist schlau. Er hat realisiert, dass es nicht ausreicht, einen Reifen aufzuschneiden und sein Innenleben zu sezieren, um dann zu Reifen gleicher Güte wie von den großen Vorbildern aus dem Weltreifenmarkt zu gelangen. Wie die Vulkanisationskurven in der Reifenwerdung verlaufen, kann man seinen Eingeweiden nicht ansehen. Das Know-how von Ingenieuren ist gefragt. Und es ist ganz erstaunlich, wieviele Techniker in den F+E-Abteilungen chinesischer Reifenhersteller wirken, die man schon bei ganz anderen Unternehmen gesichtet hatte. Das Fertigungswissen wird eingekauft, sofern es westliche Unternehmen nicht in Form von Joint Ventures oder technologischen Partnerschaften nicht ohnehin frei Haus liefern. Gelegentlich sieht man in den Laboren in Städten wie Weihai, Quingdao oder Shanghai auch Experten, auf deren Know-how dem Jugendwahn verfallene westliche Firmen meinten verzichten zu können und sie deshalb in den (Vor-)Ruhestand versetzten.

Wie lange es dauern wird, bis der erste China-Reifen einen ADAC-Test gewinnt, ist reine Kaffeesatzleserei, aber es wird passieren. „Billigware“ lässt sich durch Handelshemmnisse wie Dumpingzölle auf chinesische Aluminiumfelgen vom hiesigen Markt einigermaßen fernhalten, auch wenn sich die Fernostprodukte vielleicht – jedenfalls teilweise – durchaus sehen lassen könnten in ihrer Güte. Echte Qualitätsware, die sich darum für den Verbraucher anbietet, wird man nicht auf Dauer ausschließen können. Chinesische Qualität wird sich durchsetzen, chinesische Billigware hat einen Status, der auch dem Produzenten nicht gefällt.

2011 kommt gemäß des chinesischen Kalenders das „Jahr des Hasen“. Der schlägt Haken, Volten, ist schnell – und wird dort weitermachen können, wo ihm der Tiger Terrain bereitet hat. detlef.vogt@reifenpresse.de

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