Pilot Super Sport: Typische Michelin-Tugenden auch bei extremem Sportreifen

Reifen, die nicht lange halten, hätten für Michelin keinen großen Wert. Oder: Michelin strebe nicht ein hohes Leistungsniveau, sondern ein langanhaltend hohes Leistungsniveau an. Mit Aussagen wie diesen verdeutlicht Florent Menegaux – bei dem französischen Reifenhersteller Präsident mit dem weltweiten Verantwortungsbereich für die Produktgruppe Pkw- und Leicht-Lkw-Reifen sowie Mitglied im „Executive Council“ der Unternehmensgruppe und damit direkt unterhalb der drei „Managing Partner“ Michelins im obersten Führungszirkel – den Anspruch Michelins. Gleich eine dreistellige Anzahl Journalisten aus aller Welt war für eine etwa zwei Wochen dauernde Veranstaltungsserie an die Rennstrecke „Circuit Autodrome Dubai“ eingeladen worden. Und ihnen wurden einige ganz extreme Supersportwagen (Koenigsegg, Gumpert Apollo etc.) sowie zahlreiche Hochleistungssportwagen zum Testen des neuen Pilot Super Sport (PSS) zur Verfügung gestellt, um zu dokumentieren, dass sich die von Menegaux beschriebene Produktphilosophie in diesem Ultra-High-Performance-Reifen widerspiegelt.

Nach Dubai, wo Michelin im Übrigen seit einiger Zeit das Hauptquartier für die Region AIM (Afrika, Indien, Mittlerer Osten) unterhält, hatte Michelin den Großteil des für diese Produktgruppe verantwortlichen Teams um Jean-François Beaupére beordert. Beaupére ist Sportreifenproduktmanager weltweit und in der deutschen Organisation wahrlich kein Unbekannter, hat er doch vor knapp zehn Jahren von Karlsruhe aus die Erstausrüstung von Kunde Porsche mitbetreut. Von der Sportautomarke war der für das Produkt Reifen verantwortliche Michael Haupt mit an der Rennstrecke und erklärte die seit 2005 währende Partnerschaft mit seinem größten Reifenzulieferer. Diese enge Entwicklungspartnerschaft hat dazu geführt, dass Michelin in allen Modellgruppen den Referenzreifen stellt bzw. Benchmark für andere Reifenhersteller ist, die sich gerne mit OE-Status bei Porsche schmücken. Auch den Pilot Super Sport hat Michelin in enger Kooperation mit den Zuffenhausenern zur Serienreife getrieben, andere Entwicklungspartner waren BMW M und Ferrari.

Aufgrund dieser Partnerschaft(en) wird der neue UHP-Reifen bereits in Kürze und in schneller Reihenfolge zahlreiche Erstausrüstungsfreigaben erzielen; für die Modelle 458 Italia und 599 GTO von Ferrari und den B5 von Alpina ist der Pneu bereits homologiert. Im Zubehörmarkt wird der Reifen sukzessive ab Januar erhältlich sein (siehe Kasten). Ob später auch in einer Version mit Notlaufeigenschaften (bei Michelin Zero Pressure genannt), das lässt Menegaux offen. Eine solche Entwicklung wäre gewiss sehr herausfordernd – und sie birgt, sei hinzugefügt, die Gefahr in sich, dass Michelin bei einem der erreichten Leistungsmerkmale des neuen Reifens Einbußen hinnehmen müsste. Das ist allerdings wiederum mit der Michelin-Philosophie unvereinbar, Fortschritte in einem Kriterium niemals durch Einbußen bei einem anderen Kriterium zu erkaufen.

Einer der „Väter“ des neuen Reifens ist Olivier Bouhet, Leiter des Entwicklungsteams Sportreifen. Er und sein Team profitieren vom erlangten Wissen und Know-how aus dem Motorsportengagement bei renommierten Langstreckenrennen wie den 24 Stunden von Le Mans. In der Saison 2010 stellten Michelin-Reifen bei den 24 Stunden von Le Mans gleich drei Rekorde auf: für die längsten Fahrstrecken mit einem Satz Reifen, die höchste erzielte Geschwindigkeit und die größte zurückgelegte Gesamtdistanz in einem Rennen. Das Michelin-bereifte Siegerfahrzeug erreichte mit 5.410,71 Kilometern die längste Distanz in der Geschichte des Rennklassikers. Das Fahrzeug benötigte insgesamt elf Reifensätze und fuhr damit durchschnittlich fast 500 Kilometer pro Reifensatz. Im Jahr 2009 hatte das Siegerteam noch 14 Reifensätze über eine Distanz von 5.206 Kilometern benötigt. Zudem erreichte 2010 der Brite Anthony Davidson mit seinem Peugeot 908 HDi FAP über eine Fahrstrecke von 627 Kilometern (46 Runden) eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 243 km/h. „Das hohe Tempo über eine so lange Distanz zu halten, zeigt eindrucksvoll die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit unserer Reifen“, erklärt Serge Grisin, Motorsportchef bei Michelin. Die professionellen hauseigenen Reifentester berichten bei den Testrunden auf dem Dubai-Kurs von 50 Prozent mehr Laufleistung beim Einsatz auf der Rennstrecke, im Straßenverkehr seien es zehn Prozent mehr Laufleistung, verspricht Michelin.

Rennstrecken seien ausgezeichnete Forschungslabore, meint Florent Menegaux und lässt in seiner Präsentation das Bekenntnis zum Endurosport nicht unerwähnt, passt das (im Gegensatz zur Formel 1, wo angesichts der aggressiven Reifenentwicklung derzeit eine andere Einstellung herrsche) doch ideal zur hauseigenen Produktphilosophie. Wobei er überdies nicht nur den bei solch einem Reifen natürlich nachgefragten Geschwindigkeitsaspekt – bei internen Tests auf trockener Fahrbahn wurde die schnellste Rundenzeit im Vergleich mit Wettbewerbern erzielt und im direkten Vergleich mit dem Vorgängermodell Pilot Sport PS2 die Rundenzeit auf einer 2.700 Meter langen Rundstrecke um 1,5 Sekunden unterboten – heraushebt, sondern auch den Sicherheitsaspekt: Der Bremsweg (100 km/h auf 0 km/h) auf trockener Straße verkürzt sich gegenüber dem Vorgänger um 1,5 Meter sowie auf nasser Straße um drei Meter (80 km/h auf 10 km/h). Und selbst den Umweltaspekt lässt der Chef der Pkw-Reifensparte nicht unerwähnt und berichtet von der hier zum Tragen gekommenen Leichtbauweise („jedes eingesparte Gramm Reifen spart drei Gramm am Auto“), die einher geht mit intelligenter und damit einer produktiveren Fertigungsmethode: Ergo – noch stehen die Preise nicht in allen Weltregionen fest – werde der PSS jedenfalls nicht teurer sein als sein Vorgängermodell, sondern eher preisgünstiger.

Im direkten Gespräch mit den technisch Verantwortlichen für diese Reifenkategorie wird betont, dass man in gewisser Weise jetzt auch von den Erfahrungen profitiert, die Michelin in der Formel 1 gesammelt hat, obwohl das Unternehmen diese Motorsportserie doch schon Ende 2006 verlassen hat. Die Ingenieure standen jetzt für die etwa zweieinhalb bis drei Jahre währende Entwicklung des Pilot Super Sport zur Verfügung. Dem Einwand, dass die Formel 1 doch eine Welt für sich und der Transfer zum Straßeneinsatz fraglich sei, wird entschieden widersprochen: Die Herangehensweise bei den Entwicklungstools für den PSS durch die vormaligen F1-Ingenieure, die beispielsweise den einzelnen Rennteams zugeteilt waren, ist anders als die von Ingenieuren, die sich um die Reifenperformance für den Einsatz auf öffentlichen Straßen und genutzt von Nichtrennfahrern kümmern. Und sie habe ganz entscheidend dazu beigetragen, ein Leistungsniveau zu erreichen, um Supersportwagen wie Porsche Carrera GT, Koenigsegg Agera oder Ruf CTR CT3, Luxussportwagen wie Porsche 997, Ferrari 458 Italia oder Tuningfahrzeuge wie Audi R8 MTM bzw. Sportwagen wie BMW M3 oder Subaru WRX STi sowie ferner getunte Fahrzeuge à la Nissan GT-R Novidem angemessen ausrüsten zu können.

Integrierte Innovation

Konzipiert und designt wurde der neue Reifen für Supersportwagen und besonders leistungsstarke Fahrzeuge namhafter Autoveredler mit dem Ziel, selbst unter extremen Einsatzbedingungen Top-Performance bei gleichzeitig hoher Sicherheit zu erreichen. Um das Leistungspotenzial in punkto Grip, Bremsweg und Laufleistung zu optimieren, wurden Technologien integriert, die direkt von den Rennreifen für das 24-Stunden-Rennen von Le Mans abgeleitet sind:

– der Gürtel aus Twaron-Fasern,
– die Dual-Compound-Lauffläche mit zwei unterschiedlichen Laufflächenmischungen und
– die variable Aufstandsfläche „Variable Contact Patch 2.0“.

Twaron – in diesem Falle hergestellt von Teijin Aramid – ist ein Fasermaterial hoher Dichte, das unter anderem in modernsten Sportgeräten, aber auch in der Luft- und Raumfahrt, für militärische Schutzkleidung sowie im Motorsport eingesetzt wird. Diesem Material verdankt der Pilot Super Sport seine Stabilität bei hoher Geschwindigkeit. Aufgrund seiner variablen Spannkraft sorgt der Gürtel dafür, dass der Reifen im Profilbereich straffer als an den Schultern ausfällt. Dies sorgt für eine bessere Verarbeitung von Fliehkräften sowie eine gleichmäßigere Druckverteilung. Ein herausragendes Merkmal von Twaron ist sein hoher Haftwiderstand. Das zugleich feste und leichte Material ist fünfmal widerstandsfähiger als Stahl von gleichem Gewicht.

Die ursprünglich für Rennreifen entwickelte Dual-Compound-Lauffläche basiert auf der Verwendung unterschiedlicher Gummimischungen für die linke und rechte Profilseite. Außen sorgt ein rußverstärktes Elastomer (eigens für die 24 Stunden von

Le Mans entwickelt) für Dauerfestigkeit in engen Kurven. Innen gewährleistet ein – enorm haftfähiges – Elastomer der jüngsten Generation, dass der Reifen auf nasser Fahrbahn den Wasserfilm durchdringen kann und selbst auf kleiner Fahrbahnunregelmäßigkeit noch Halt findet.

Die dritte von Michelin hervorgehobene Technologie ist die variable Aufstandsfläche (Variable Contact Patch 2.0): Dank moderner digitaler Computersimulation konnte eine gleichmäßige Druck- und damit Temperaturverteilung über die Aufstandsfläche des Reifens erzielt werden. Obwohl sich diese Fläche bei der Kurvendurchfahrt ändert, bleibt die Gummimenge, die mit der Straße in Berührung ist, stets konstant. Je nach Reifenbreite kommt ein 5- oder 6-Rippenprofil zum Einsatz.

Um sicherzugehen, dass auch diese neueste Reifengeneration strengste Sicherheitsansprüche erfüllt, unterzog Michelin den neuen Supersportreifen einem extrem harten internen Testprogramm. Dauerbelastungstests von insgesamt tausend Stunden bei einer Geschwindigkeit von 300 km/h absolvierte der Reifen ebenso wie etwa 10.000 Testkilometer auf Fahrbahnen mit besonders schlechter Haftung. Insgesamt legte der Pilot Super Sport ein Testpensum von über 100.000 Kilometern auf den anspruchsvollsten Rennstrecken der Welt zurück. Die Härtetests führte Michelin in Frankreich, Deutschland, Italien, den USA, Japan und Thailand auf Rennstrecken wie Fiorano, Motegi, Estoril, Magny-Cours, Nardo, Charade und dem Nürburgring durch.

Der in der Erstausrüstung für über 200 Fahrzeuge freigegebene Pilot Sport PS2 findet sich aktuell auf den exklusivsten Fahrzeugen, die der Markt zu bieten hat. Im Jahre 2003 vorgestellt, hat der PS2 immerhin erst in diesem Jahr auf Bugatti Veyron mit 431 km/h einen Hochgeschwindigkeitsweltrekord aufgestellt und mit Shelby SuperCars Fahrgeschwindigkeiten von über 400 km/h erzielt. Obwohl also immer noch auf der Höhe der Zeit und für Höchstleistungen prädestiniert, stellt sich nun sein Nachfolger Pilot Super Sport den Herausforderungen des Marktes.

Und die sind nicht nur groß, sondern bergen auch Chancen: Denn der Absatz von Höchstleistungsfahrzeugen nimmt weiterhin zu, wobei für die kommenden fünf Jahre weltweit mit einem Marktwachstum von 25 Prozent gerechnet wird, so jedenfalls interne Schätzungen der Michelin-Marktforschiung. Die Nachfrage nach entsprechenden Reifen dürfte im selben Zeitraum (2010 bis 2015) in Nordamerika um 43 Prozent, in Europa um über 30 Prozent und in China um das Fünffache steigen. detlef.vogt@reifenpresse.de

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