Vom Lanxess-Medientag: Mehr als Reifen

Erst vor sechs Jahren als Abspaltung des Chemiegiganten Bayer entstanden, hat sich der Name Lanxess in den Köpfen der Manager in der Reifenindustrie verfestigt, immer mehr Verbraucher wissen auch etwas mit dem Namen anzufangen. Der ist eine Wortkreation aus der französischen Vokabel „lancer“ (etwas in Gang bringen) als Anfangs- und dem englischen „success“ (Erfolg) als Endsilbe. Das große X in der Wortmitte (sich selbst schreibt das Unternehmen in Versalien, also LANXESS) ist so etwas wie das heimliche Firmenlogo. Der Verbraucher hat sich daran gewöhnt, dass die vormalige Kölnarena, Deutschlands wohl bekannteste Multifunktionshalle, seit gut zwei Jahren „Lanxess arena“ heißt. Welche wirtschaftliche Aktivität hinter Lanxess steht, weiß man in der breiten Bevölkerung noch nicht, allenfalls dass es irgendwie um Spezialchemikalien geht.

Die strategische Ausrichtung des noch so jungen, aber als überaus erfolgreich geltenden Unternehmens orientiert sich an den vier globalen Megatrends Mobilität, Urbanisierung, Landwirtschaft und Wasser. Im MDAX notiert, werden die Aktivitäten in drei Segmente unterteilt: „Performance Polymers“, „Advanced Intermediates“ und „Performance Chemicals“. Herausragend und beim Konzernumsatz führend ist das erstgenannte Segment, in dem es um die Herstellung von Kunststoffen und synthetischem Kautschuk geht. Etwa ein Viertel des Lanxess-Umsatzes, der im letzten Jahr auf die 5-Milliarde-Euro-Schwelle zurückgefallen war, entfällt auf Geschäfte mit der globalen Reifenindustrie. Ins Bewusstsein vieler hat sich das nach wie vor in Leverkusen angesiedelte Unternehmen (die Verlagerung des Konzernsitzes nach Köln war in der Wirtschaftskrise auf Eis gelegt worden) gebracht, als es im letzten Jahr der 1909 gemachten Erfindung des Synthesekautschuks gedachte und einen großen „Weltkautschuktag“ ausrichtete. (In diesem Jahr stellt Lanxess den weltweit immer knapper werdenden Rohstoff Wasser in den Fokus: 2010 ist das „Lanxess-Wasserjahr“.) Der Bereich „Advanced Intermediates“ deckt Basis- und Feinchemikalien ab. Das reicht von der Beschäftigung damit, welchen Beitrag die Chemie leisten kann, um dem Hunger in der Welt zu begegnen, wie sich also landwirtschaftliche Erträge steigern lassen, bis hin zu Angeboten für die Bauwirtschaft. Das Spektrum des Segments „Performance Chemicals“ reicht von Farbmitteln für die Kunststofffärbung bis hin zu – Ingredienzien, wie sie die Reifenindustrie ebenso benötigt wie Synthesekautschuk.

Innerhalb des Segmentes „Performance Polymers“ widmen sich die Geschäftseinheiten „Butyl Rubber“ und „Performance Butadiene Rubber“ nicht nur, aber überwiegend dem Produkt Reifen. Butyl- und Halobutylkautschuke finden überwiegend im Reifenbau Verwendung, und zwar als Innerliner. Butylkautschuk gilt auch im Hause Lanxess als „Standard“-Ware, dessen Anteil bei der Kundengruppe Reifenindustrie von 2008 auf 2010 von 84 auf 76 Prozent gesunken ist. Und das sei auch so gewollt, sagt der für diese „Business Unit“ verantwortliche Ron Commander (60). Denn die erwartete Radialisierungswelle bei Lkw-/Bus-Reifen in Ländern wie China oder Indien begünstigt Halobutylkautschuke für diese Schlauchlosreifen. Halobutyl in den Laufflächen von High-Performance-Reifen kommt schließlich der Traktion zugute, ohne Einbußen beim Rollwiderstand oder der Haltbarkeit befürchten zu müssen. Während die Produkte aus Commanders Geschäftseinheit ihre produktoptimierenden Wirkungen eher im Verborgenen des Reifens entfalten, handelt es sich bei „Performance Butadiene Rubber“ um die Teile, die man auch sieht, nämlich die Lauffläche und die Seitenwand, erklärt Joachim Grub (51), dessen Verantwortungsbereich mit etwa 800.000 Tonnen zwar doppelt so viel jährlich produziert wie Commanders Produktionseinheiten, aber beim Umsatz mit etwa einer halben Milliarde Euro doch in etwa auf gleichem Niveau ist. Die zum Segment „Performance Chemicals“ gehörenden Geschäftseinheiten „Rhein Chemie“ und „Rubber Chemicals“ beliefern ebenfalls die Gummi- und damit auch die Reifenindustrie. Erstere Additive, die zum Beispiel einem Verhärten der Gummimischung bei niedrigen Temperaturen entgegenstehen (also in diesem Falle bei Winterreifen wichtig sind), zweitere zum Beispiel Alterungsschutzmittel. (Auf die beiden für das Produkt Reifen wesentlichen Geschäftseinheiten „Butyl Rubber“ und „Performance Butadiene Rubber“ wird die NEUE REIFENZEITUNG erneut zurückkommen, wenn in unserer nächsten Ausgabe ein Schwerpunktthema „Materialien für die Reifenfertigung“ heißt.)

Wirtschaftskrise überwunden

Floskeln wie „gestärkt aus der Krise hervorgehen“ waren von vielen Unternehmen während der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzkrise des Jahres 2009 zu hören. Lanxess hat auch unter dem Nachfragerückgang vieler Industrien – so der Reifenbranche – gelitten. Aber der Blick auf die aktuellen Quartalszahlen belegt: Bei allen relevanten Kennziffern übertrifft das Unternehmen heute bereits wieder die vergleichbaren Vorkrisenwerte! Und übrigens sei nicht vergessen, dass selbst im wirtschaftlichen Katastrophenjahr immer noch schwarze Zahlen geschrieben werden konnten. Lanxess ist ein hochprofitables Unternehmen und hat sich unter der Führung von Dr. Axel C. Heitmann (51), der selbst aus dem Hause Bayer kommt, viel besser entwickelt, als der Leverkusener Multi dies gedacht haben mag, als er sich 2003/2004 zum Spin-off durchgerungen hatte (und übrigens seit etwa zwei Jahren keine Anteile mehr an Lanxess hält). Produkte wie Reifen galten als langweilig und verhießen vermeintlich keine positiven Perspektiven. Ein Irrtum, wie die Erfolgsgeschichte von Lanxess beweist. Statt Ertragsschwächen und limitierte Wachstumsmöglichkeiten gibt’s Gewinnrekorde und kräftige Investitionen in neue wie bestehende Fabriken zu vermelden, die nur jemand vornimmt, der vom Markterfolg felsenfest überzeugt ist. Und nicht zuletzt das ist eine optimistische Botschaft, die vom bereits vierten internationalen Medientag, den das Unternehmen veranstaltete (der letzte war im September 2008, als noch niemand eine Wirtschaftskrise solchen Ausmaßes vorhersehen konnte), ausgehen sollte.

Als Unternehmen ist Lanxess schneller aus dem so tiefen Konjunkturtal herausgefahren als andere und nähert sich in den Fabriken wieder dem für die Chemiebranche anerkannten Durchschnitt von 80 bis 85 Prozent, nachdem die Lanxess-Fertigungsanlagen inmitten der Wirtschaftskrise auf ein Niveau von 60 bis 70 Prozent runtergefahren werden mussten. Als Regionen haben sich die sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) mit ihren aufstrebenden Volkswirtschaften weltweit als erste von der Krise erholt und liegen mit ihren Wachstumsraten bis auf Russland (hängt noch hinterher) schon weit über Vorkrisenniveau. Ob Glück oder weise vorausschauende Strategieentscheidung: Lanxess hat sehr frühzeitig diese Länder als Wachstumsregionen identifiziert und engagiert sich dort überproportional: Flossen im Jahre 2005 noch weniger als zwanzig Prozent der Investitionen nach Asien und Lateinamerika, so sollen es 2012 schon 38 Prozent sein; innerhalb eines halben Jahrzehnts hat sich der prozentuale Anteil der BRIC-Staaten am Konzernumsatz glatt verdoppelt! Die Investitionen (in Produkte und Produktionsverfahren gleichermaßen) in diesen Regionen kommen nicht nur der Reifenindustrie zugute, sondern auch anderen Unternehmensbereichen wie dem Kunststoffgeschäft und sind Ausdruck des Bestrebens, weiterhin stärker organisch wachsen zu wollen als durch Akquisitionen.

Die noch so junge Lanxess-Geschichte war charakterisiert durch eine Neuordnung des Portfolios. Geschäftsbereiche wurden abgegeben, neue dazugekauft, wobei der Fokus ganz eindeutig auf mittleren bis kleineren Unternehmen lag und auch künftig liegen wird, wie Finanzvorstand Matthias Zachert (42) erklärt. Welche Unternehmen dies sein werden, verraten er und der Vorstandsvorsitzende natürlich nicht, aber sehr wohl, dass man noch in diesem Jahr davon hören werde. Welche Akquisitionen könnten – neben denen für andere bestehende Geschäftsfelder – der Stärkung des Reifengeschäftes dienen? Das ist Spekulation, aber immerhin: Lanxess könnte im Kerngeschäft Synthesekautschuk, wo sich das Unternehmen als Marktführer sieht, Marktbereinigung betreiben und kleinere Spieler an sich binden. Das Portfolio könnte ausgeweitet werden, bekanntlich unterzog Evonik Industries (Essen) die Carbon-Black-Geschäftsaktivitäten, die auch den Reifenbereich betreffen, einer Prüfung mit dem Ergebnis, das Rußgeschäft verkaufen zu wollen. Vor einigen Jahren hatte es Gespräche gegeben, Aktivitäten von Evonik und Lanxess gegebenenfalls zusammenzulegen. Synthesekautschuke, Additive und Reifenchemikalien ergeben ohne Ruße, Silica und die in ihrer Bedeutung immer höher eingeschätzten Organosilane (alle drei Produktgruppen sind im Evonik-Produktportfolio) noch lange keinen Reifen. Man darf gespannt sein, in welche Richtung(en) die Lanxess-Intentionen gehen.

Etwa 2,2 Milliarden Euro Umsatz hat Lanxess im letzten Jahr mit der Gummi- und davon ca. 70 Prozent mit der Reifenindustrie generiert. Kunden sind alle „Big Shots“ der Branche, genannt werden beispielhaft Michelin, Bridgestone, Goodyear, Continental und Hankook, im Gummi-Technikum Dormagen wird man im Eingangsbereich von einem Pirelli-Reifen als Beispielexponat begrüßt, um zu dokumentieren, wo Lanxess-Materialien ihre segensreichen Wirkungen entfalten. Zu den strategischen Ausrichtungen des Spezialchemikalienunternehmens gehört eine „performance-getriebene Kultur“ bzw., sich vornehmlich auf innovative Premiumprodukte zu konzentrieren, und dies gilt neben den anderen Geschäftsfeldern auch und gerade für das Produkt Reifen. Performance- und High-Performance-Reifen sind die am schnellsten wachsenden Pkw-Segmente, über das Anfangsstadium ist Lanxess aber bei Nutzfahrzeugreifen, wo Rollwiderstand ja ein Megatrend ist, allerdings ebenfalls schon hinaus. Lanxess ist marktführend bei Lösungs-Styrol-Butadien-Kautschuk (S-SBR) und bei dem Hochleistungsprodukt Neodymium-Polybutadien-Kautschuk (Nd-PBR), die kleineren Geschäftseinheiten Rhein Chemie und Rubber Chemicals tragen mit den Vulkanisationsbeschleunigern Rhenogran und Rhenocure zur Optimierung des Fertigungsprozesses sowie mit Vulcaren zum Erhalt der Leistungsfähigkeit über das Reifenleben bei. „Als Marktführer für Hochleistungskautschuke sind wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, verweist Axel Heitmann auf die im vergangenen Jahr von der Europäischen Union verabschiedete Verordnung, wonach in Europa verkaufte Reifen künftig mit Angaben zu Treibstoffeffizienz (Thema Rollwiderstand), Nasshaftung und Lärmemissionen gekennzeichnet sein müssen: das in den letzten Monaten so häufig thematisierte Reifen-Labelling. „Diese neue Transparenz ermöglicht es Verbrauchern, sachkundig zwischen herkömmlichen Reifen und umweltfreundlichen „grünen“ Reifen zu wählen.“ Der Lanxess-Chef verweist darauf, dass Japan bereits zu Beginn dieses Jahres auf freiwilliger Basis eine vergleichbare Kennzeichnung eingeführt hat und ähnliche Vorschriften wie in der EU derzeit auch in Südkorea und den USA geprüft werden. Die großen Schwellenländer wie Brasilien, Indien und China werden sich nicht mit Produkten abspeisen lassen, die nicht dem aktuellen Stand der Technik entsprechen, sondern über kurz oder lang die gleichen Reifenqualitäten haben wollen wie die Europäer, Amerikaner oder Japaner. „Grüne“ Reifen können nur mit High-Tech-Synthesekautschuken und Additiven hergestellt werden, Produkte, die Lanxess im Portfolio hat: Besonders genannt seien Nd-PBR und S-SBR. Und die Entwicklung geht immer weiter. Der erst vor wenigen Monaten erfolgte kommerzielle Einsatz des neu entwickelten Neodymium-Butadien-Kautschuks (Nd-BR) Buna CB21 erfolgte zwar beim Golfball „Kira Star“. Dank der außerordentlich hohen Elastizität dieses Hochleistungskautschuks fliegen Golfbälle nicht nur deutlich weiter, dieser Nd-BR steht auch im Reifensektor vor einer großen Karriere, denn genau dieselbe Materialeigenschaft, die einen Golfball weiter fliegen lässt, ermöglicht auch die Herstellung besonders energieeffizienter, weil weiter rollwiderstandsoptimierter Reifen. Freilich: Erst einmal muss die neuartige Reifeningredienz auch hinsichtlich der sicherheitsrelevanten Kriterien getrimmt werden, darauf kommt es ja bei Golfbällen weniger an. detlef.vogt@reifenpresse.de

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