VDA- und Oliver Wyman-Studie über die Automobilzulieferindustrie

Die Krise trifft die Zulieferer weltweit mit voller Wucht: Im ersten Quartal 2009 brach der Umsatz um 35 Prozent ein. Weder in diesem noch im nächsten Jahr wird mit Gewinnen gerechnet. 2009 muss mit einem Rückgang der weltweiten Fahrzeugproduktion im zweistelligen Bereich gerechnet werden. Infolge dieser Einschätzung reduzierten die Zulieferunternehmen bis Ende März ihre Belegschaften deutlich. Das sind die Ergebnisse der aktuellen Studie „Anhaltende Krise oder Neuanfang der Automobilzulieferindustrie?“ von Oliver Wyman und dem Verband der Automobilindustrie (VDA), in der die aktuelle Krise, effektive Gegenmaßnahmen und die Neustrukturierung der Zulieferindustrie in Europa, Asien und Nordamerika analysiert wurden. Basis der Studie ist eine Befragung von 120 CEOs der weltweiten Automobilzulieferindustrie. Um zu überleben, müssen die Unternehmen nach der Sicherung der Liquidität eine umfangreiche Restrukturierung vorantreiben. Die deutschen Zulieferer haben die Chance, als Gewinner aus der Krise hervorzugehen. Alle langfristigen Prognosen gehen davon aus, dass der Automobilmarkt weltweit ein Wachstumsmarkt bleiben wird.

Diese langfristige Entwicklung wird allerdings von der momentanen Krise überlagert. Innerhalb weniger Wochen riss die jahrzehntelange Wachstumsphase im Automobilbau ab. Gleich einem Kartenhaus brachen die Absatzzahlen Land für Land ein. Bislang einziger Fels in der Brandung ist der chinesische Automarkt. Der deutsche Pkw-Markt wird durch die Umweltprämie stabilisiert. Ähnliche Instrumente werden auch in anderen Ländern eingesetzt. Sie zeigen, dass für die Verbraucher der Neuwagenkauf weiterhin hohe Priorität hat.

Weltweit wird aber für das Jahr 2009 mit einem drastischen Rückgang der Automobilproduktion gerechnet. Die Ursache für diesen Einbruch liegt zum größten Teil in der Finanzmarktkrise. Seit die Krise in der Realwirtschaft angekommen ist, ist die Nachfrage nach Neufahrzeugen massiv eingebrochen. Die strukturellen Herausforderungen der hoch konsolidierten Branche verschärfen die Folgen für die Automobilhersteller (OEMs) zusätzlich.

Kein schnelles Ende der Krise in Sicht

In den vergangenen sechs Monaten traf die Krise die Automobilzulieferindustrie noch härter als die Hersteller. Seit November 2008 mussten allein im deutschsprachigen Raum 31 Unternehmen Insolvenz anmelden. In den USA ist derzeit rund die Hälfte der 30 größten Automobilzulieferer mit einem Umsatz von zirka 270 Milliarden US-Dollar und über einer Million Beschäftigten insolvenzgefährdet.

Dabei waren die Automobilzulieferer zu Beginn der Krise in einer starken Position. Im Jahr 2007 erzielten die Zulieferer ein Ergebnis vor Steuern und Zinsen (EBIT) von sechs Prozent. Das Jahr 2008 konnten die Zulieferer trotz des Einbruchs im Herbst noch mit einem Umsatzwachstum von 2,9 Prozent und einer positiven EBIT-Marge von 4,3 Prozent abschließen. Doch im ersten Quartal 2009 zeigten sich die verheerenden Auswirkungen der Krise. Der Umsatz brach um 35 Prozent ein – fast alle Unternehmen machten Verluste.

Die in der Studie „Anhaltende Krise oder Neuanfang der Automobilzulieferindustrie?“ befragten 120 Top-Manager gaben an, dass sie ihre Beschäftigtenzahlen bis Ende März bereits deutlich reduziert haben. Hinzu kommen der Abbau von Leiharbeitern, das Auslaufen von Zeitverträgen sowie die Einführung von Kurzarbeit bei 70 Prozent der Zulieferfirmen.

Von den weltweit 7,4 Millionen Stellen in der Automobilzulieferindustrie könnten bis Ende 2009 15 Prozent abgebaut werden, vor allem im Ausland. Weniger als fünf Prozent der Unternehmen werden noch einen Gewinn erzielen. Der Verlust der gesamten Branche wird bei drei Prozent vom Umsatz liegen. Eine Rückkehr auf das Niveau von 2007 wird frühestens für das Jahr 2014 prognostiziert.

Zuerst die Liquidität sichern

96 Prozent der befragten CEOs gaben an, dass die Sicherstellung der Liquidität aktuell die dringlichste Aufgabe sei. Dementsprechend werden Zahlungsziele neu verhandelt, Forderungen eingetrieben, weniger wichtige Projekte gestoppt und eine Task Force zur Krisenbewältigung gebildet. Auch bei Personal- und Sachkosten werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Kosten zu senken, ohne die Bargeldreserven antasten zu müssen.

Für den Erhalt des Unternehmens rücken Management, Eigentümer und Mitarbeiter eng zusammen. „Manager und Arbeitnehmer kooperieren und stehen bisher zusammen“, sagt Klaus Bräunig, Geschäftsführer des VDA. Als besonders wichtig wird eine reibungslose Zusammenarbeit bei Bürgschafts- oder Hilfskreditprogrammen angesehen. Allerdings sind sich die Zulieferer darüber einig, dass es die Bürgschaften nur für gesunde Unternehmen geben sollte. Wer es in den letzten Jahren versäumt hat, wirtschaftlich zu arbeiten und sein Unternehmen fit für den Wettbewerb zu machen, darf jetzt nicht die rettende Hand des Steuerzahlers erwarten. Spannungen treten dagegen vermehrt in der Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Banken sowie Kreditversicherern auf. Durch eine generelle, hohe Risikobewertung der Automobilindustrie scheuen sich viele Banken vor einer Kreditvergabe oder sind nicht gewillt, bestehende Kreditlinien zu den bisherigen Konditionen auszuweiten oder zu verlängern.

Restrukturierungen sind unbedingt notwendig

Doch diese Maßnahmen allein reichen zur Krisenbewältigung nicht aus. Der nachhaltige Absatz- und Umsatzrückgang hat gravierende Folgen. „Aktuell eingeleitete Maßnahmen wie Kurzarbeit verschaffen den Unternehmen kurzfristig Luft, bieten aber keine langfristige Lösung“, meint Jan Dannenberg, Partner und Zulieferexperte bei Oliver Wyman. „Deshalb sind die Automobilzulieferer zu einer signifikanten, strukturellen Anpassung ihrer Kostenstruktur gezwungen.“ Dies ist nur im Rahmen einer operativen Restrukturierung zu leisten. Es gilt, Krisen- und Turnaround-Teams zu etablieren, Kostensenkungsprogramme zu implementieren, das Portfolio zu bereinigen und die Kapitalkosten zu senken. Ohne Anspringen der Märkte sind Personalabbau, Standortschließungen und die Veräußerung einzelner Unternehmensteile bald unvermeidlich. Doch selbst damit lässt sich die drohende Zahlungsunfähigkeit für etliche Firmen nicht abwenden. Zu groß ist der Druck der Fremdkapitalseite. Von den weltweit 4.000 Automobilzulieferern mit einem Umsatz von mehr als 20 Millionen Euro erwarten die befragten CEOs, dass bis Ende 2010 bis zu 500 in die Insolvenz gehen. In Deutschland könnte es insgesamt bis zu 70 Unternehmen treffen, wovon allerdings ein Großteil nach der Restrukturierung weitergeführt werden dürfte. Gerade Zulieferer in der Hand von Private-Equity-Firmen sind aufgrund ihrer hohen Fremdkapitalquote und der damit verbundenen Zinslast häufig in einer äußerst prekären Lage.

Um die Krise erfolgreich zu bewältigen und Unternehmen für den Aufschwung richtig zu positionieren, müssen die Manager schnell und entschlossen handeln. Die Studie „Anhaltende Krise oder Neuanfang der Automobilzulieferindustrie?“ teilt die Handlungsempfehlungen drei Phasen der Krise zu. In den letzten drei bis sechs Monaten bestand das vorrangige Ziel darin, die Liquidität und Lieferfähigkeit zu sichern. Bis Ende 2009 gilt es, im Rahmen einer umfassenden Restrukturierung die Neuordnung der Unternehmen voranzutreiben. Erst ab 2010 kann sich das Management wieder mit der mittelfristigen Neuausrichtung des Unternehmens befassen und die notwendigen Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und optimalen Marktpositionierung einleiten.

„New Automotive Deal“ oder Schwächung der Wertschöpfungsstruktur?

Die Krise wird bei allen negativen Aspekten auch zu einem Erstarken der Zulieferindustrie führen. Geschwächte Teilnehmer werden den Markt verlassen und starke Zulieferer, die in eine finanzielle Notlage geraten sind, werden gezielt von Konkurrenten oder Investoren übernommen. „OEMs und Zulieferer stehen vor der Frage, wie sie ihre Partnerschaft in den kommenden Jahren gestalten“, sagt Bräunig. Entweder versuchen sie gemeinsam, auf Augenhöhe die Herausforderungen anzugehen und neue Formen der Partnerschaft zu entwickeln, oder das Verhältnis wird von fehlendem Vertrauen und kurzfristigen Erfolgsstrategien geprägt. „’New Automotive Deal’ oder Schwächung der Wertschöpfungsstruktur“, fasst Bräunig die Herausforderung der Branche zusammen.

Die Krise wird zudem neue Geschäftsmodelle ins Leben rufen. So kann eine Polarisierung zwischen funktionsorientierten, auf Innovationen ausgerichteten Geschäftsmodellen für Premiumkunden sowie Low-Tech- und Low-Cost-Geschäftsmodellen erwartet werden. Die befragten Top-Manager sind sich darüber einig, dass der Staat sich zurückhalten und auf die Setzung der notwendigen Rahmenbedingungen beschränken möge. Viele Marktteilnehmer haben die Chance, gestärkt aus der Krise hervorzugehen und erwarten dabei möglichst wenig Wettbewerbsverzerrung auf ihrem Weg. Erfolgsfaktoren, die heute wichtig sind, zum Beispiel Kundenorientierung, Kostenführerschaft und Innovationskraft, stehen nach wie vor im Fokus der Unternehmen. Zusätzlich gewinnen „weiche“ Erfolgsfaktoren wie Kompetenz bei unternehmerischem Handeln, aktive Nutzung der Globalisierung und eine starke Netzwerkfähigkeit an Bedeutung. Der aktuelle Erfüllungsgrad dieser Faktoren zeigt, wie gut die Zulieferfirmen schon heute aufgestellt sind. „Damit haben die deutschen Zulieferunternehmen die Chance, stärker als ihre Wettbewerber aus der Krise hervorzugehen und ein weiteres Kapitel des Wachstums zu beginnen“, betont Berater Dannenberg.

Die Studie „Anhaltende Krise oder Neuanfang der Automobilzulieferindustrie?”
Für die Studie „Anhaltende Krise oder Neuanfang der Automobilzulieferindustrie?” befragte Oliver Wyman 120 CEOs von Automobilzulieferfirmen in Europa, Asien und Nordamerika in dem Zeitraum von März bis April 2009. Die Themen umfassten die aktuelle Krise, Gegenmaßnahmen der Unternehmen und die Neustrukturierung der Zulieferindustrie. Im Anschluss wurden die Ergebnisse durch eine umfangreiche Sekundärrecherche und Finanzanalyse der Zulieferindustrie ergänzt. Dafür wurden die Finanzkennzahlen von insgesamt 250 Automobilzulieferern ausgewertet.

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