Formel 1: Von Clermont-Ferrand auf Welt-Tournee

Die Piloten in der Formel 1 kämpfen das ganze Rennen über am Limit. Sie müssen in jeder Runde das maximal Mögliche aus ihren Boliden herausholen, um schneller zu sein als die Konkurrenz. Ein ähnlicher Kampf gegen die Zeit herrscht auch hinter den Kulissen. Während der Saison steht die Formel-1-Abteilung bei Michelin unter starker Anspannung. Das Team bereist von März bis Oktober allein für die Grands Prix 16 Länder auf fünf Kontinenten – und hat dabei sehr umfangreiches Equipment sowie jeweils mehr als tausend Reifen im Gepäck.

Dienstagvormittag, 25. Juli 2006, in Clermont-Ferrand: Weniger als vier Tage nach dem Ende der Testfahrten in Jerez beginnt für die Reifen-Techniker von Michelin die Mission „Großer Preis von Deutschland“. Ganze Chargen von in der vorherigen Woche in Spanien erprobten und für gut befundenen Pneus liegen jetzt fertig produziert in der Lagerhalle O23 des Werks Cataroux von Michelin in Clermont-Ferrand. Bereits früh am Morgen haben sich etwa 15 Mitarbeiter eingefunden, um die Reifen-Trucks für das anstehende Rennen auf dem Hockenheimring zu packen.

Die Lageristen holen das „schwarze Gold“ aus den Regalen und stellen es in der richtigen Reihenfolge bereit, das übrige Personal belädt die Lastwagen – jeder einzelne kennt seine Aufgaben auf dem Effeff. Insgesamt verfrachten die Michelin-Männer rund tausend Pneus sowie haufenweise Equipment in die Transporter: Reifenmontiermaschinen treten ebenso die Reise nach Deutschland an wie Füllstationen, Kompressoren, Lufttrockner und viele, viele Laptops. Nach rund zwei Stunden setzt sich der Konvoi – bestehend aus fünf 38 Tonnen schweren Sattelzügen – in Bewegung. Nach rund 750 Kilometern Fahrt kommen die Mechaniker, bei Michelin technische Assistenten genannt, mit ihren Reifen-Trucks abends in Hockenheim an.

Die Vorbereitungen – 900 Reifen in zwei Tagen

Am nächsten Morgen pünktlich um 8.00 Uhr beginnen die Spezialisten am Hockenheimring mit der Arbeit – und auch hier herrscht enormer Zeitdruck. Jean-François Collange hält als Manager der Motorsport-Logistik bei Michelin die Fäden in der Hand. Der Franzose koordiniert seine zwölf Mitarbeiter, die sich um operative Belange kümmern – darunter zwei Lageristen, ein Equipment-Techniker sowie neun technische Assistenten. Zu der insgesamt rund 30 Personen umfassenden Formel-1-Mannschaft von Michelin gehören zudem Hospitality-Mitarbeiter, Bürokräfte und Reifen-Ingenieure. Auch beim Aufbau im Fahrerlager herrscht eine für die Formel 1 typische Präzision: Wie beim Beladen sitzt auch beim Entladen jeder Handgriff. Nach lediglich vier Stunden steht die komplette Infrastruktur der Michelin-Basis für die kommenden fünf Tage – inklusive des Hospitality-Bereichs und der gesamten notwendigen Technik.

Nachdem auch die acht mal zehn Meter große Reifen-Werkstatt installiert ist, beginnen die erfahrenen Mechaniker mit der Montage der Pneus. Obwohl das erste Freie Training erst am Freitag stattfindet, herrscht bereits jetzt Hochbetrieb. Die vielseitig einsetzbaren Assistenten müssen bis zum Beginn des eigentlichen Grand-Prix-Wochenendes etwa 900 Reifen auf die Felgen ihrer sechs Partnerteams aufgezogen haben. Die Experten aus Clermont-Ferrand montieren rund 15 Sätze pro Stunde – und das unter Zeit- und Erfolgsdruck. Alle Reifen müssen donnerstags bis spätestens 16.00 Uhr von der FIA abgenommen werden. Trotz der Hektik dürfen die Reifen unter keinen Umständen vertauscht werden. Fehler bei der Montage, beim Auswuchten oder bei der Überprüfung können fatale Auswirkungen haben. „Du musst viel Leidenschaft für den Sport entwickeln, sonst hältst du das nicht lange aus“, erklärt Jean-Paul Vedel, Formel-1-Fan und technischer Assistent bei Michelin, mit einem Lächeln auf den Lippen.

Das Grand-Prix-Wochenende – drei Tage ohne Verschnaufpause

Die heiße Phase des Rennwochenendes beginnt am Freitagvormittag mit dem ersten Freien Training. Wenn die Piloten ins Lenkrad greifen, haben auch die technischen Assistenten bei Michelin eine andere Aufgabe. Rund eine halbe Stunde vor Beginn der Session eilen sechs von ihnen zu den Partnerteams von Michelin. Gemeinsam mit einem Reifen-Ingenieur, der das ganze Wochenende über „seinen“ Rennstall betreut, kümmern sich die Zwei-Mann-Teams die ganze Saison über um die Reifen-Thematik bei ihrem jeweiligen Partner. Während der Assistent beispielsweise die Asphalttemperatur misst, Reifentemperatur und -druck kontrolliert, unterstützt der Ingenieur aus Clermont-Ferrand seinen Rennstall bei der Wahl der Pneus, der Abstimmung und sogar bei der Rennstrategie.

Nach dem Ende der Trainings begeben sich die Techniker wieder auf den Weg zurück in die Werkstatt. Dort demontieren sie die ersten gebrauchten Michelin-Reifen von den Magnesiumfelgen. Die bereits verwendeten Pneus werden in die Trucks eingeladen, die Felgen gehen zurück an die Rennteams. Zu dieser vergleichsweise ruhigen Zeit versuchen die Assistenten so viele Reifen wie möglich zu demontieren, um nicht später in Verzug zu geraten. Die Pneus der dritten Fahrer haben sie gerne noch freitags vom Tisch. Der Samstag verläuft ähnlich: Die Michelin-Duos betreuen ihre Partnerteams während des dritten Freien Trainings und des Qualifyings, danach finden sich die Männer aus Clermont-Ferrand erneut in der Reifen-Werkstatt ein, um weitere gebrauchte Reifen einlagern zu können.

Am Sonntag erreicht das Grand-Prix-Wochenende mit dem Rennen seinen Höhepunkt. Mehr als 90 Minuten lang kämpfen die Piloten um den Sieg beim Großen Preis von Deutschland 2006. Noch während sich die drei schnellsten Piloten gegenseitig mit Champagner besprühen und die Teams über den Erfolg ihrer Fahrer jubeln, herrscht bei den technischen Assistenten schon wieder Hochbetrieb. Nachdem sie am Vormittag bereits alles, was sie nicht mehr benötigen, abgebaut haben, müssen sie jetzt mit einer wahren Reifen-Flut zurechtkommen. Im Rekord-Tempo demontieren sie alle Pneus von den Felgen, packen Reifen-Werkstatt, Hospitality-Bereich sowie Büros zusammen und beladen die fünf Trucks. Auf Grund der enormen Arbeit machen die Mechaniker selten bei Tageslicht Feierabend. Zumeist koppeln sie die Anhänger erst gegen 23.00 Uhr an die Zugmaschinen an, bevor sie die Kisten voller Werkzeuge und Maschinen in den Fahrzeugen verstauen.

Zeit zum Ausruhen oder für ausgelassene Siegesfeiern bleibt den technischen Assistenten selbst danach nicht: Gegen acht Uhr am nächsten Morgen reisen die Mitarbeiter mit dem Bibendum auf der Brust ab. Auch hier gibt es keine Zeit zu verlieren, schließlich müssen sie in nur zwei Tagen ihre Zelte am Hungaroring in Ungarn aufschlagen.

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