CAS und TU Darmstadt forschen gemeinsam

Der Zulieferer Continental bzw. dessen Sparte Automotive Systems finanziert und betreut seit 2003 mit insgesamt 1,6 Millionen Euro das interdisziplinäre Projekt PRORETA an der Technischen Universität Darmstadt. PRORETA fokussiert sich auf eine Fragestellung, die für die Serienentwicklung kommender Fahrerassistenzsysteme und ihrer Einzelkomponenten große Bedeutung hat: Wie muss ein Sicherheitssystem beschaffen sein, das ein Hindernis oder eine plötzlich auftauchende Gefahr erkennt und das Auto hilft abzubremsen oder sogar um das Hindernis herumzulenken, so dass es vom Fahrer akzeptiert wird?

PRORETA, benannt nach dem vor Untiefen warnenden Oberbootsmann auf antiken römischen Schiffen, verfolgt gleich mehrere Ziele: „PRORETA soll den Wissensaustausch zwischen Industrie und universitärer Forschung fördern und intensivieren, wissenschaftlichen Nachwuchs begeistern und in einer schon frühen Phase in die Lösungsfindung anwendungsorientierter Problemstellungen einbinden und damit auch einen Beitrag zur Stärkung des Industriestandortes Deutschland darstellen“, erklärt Dr. Peter E. Rieth, Leiter Zukunftsentwicklung Continental Automotive Systems.

Autonome Eingriffe in Bremse und Lenkung sind möglich

„Umfeldsensorik ist der Schlüssel zu mehr Sicherheit und Komfort auf der Straße. Unser Adaptive Cruise Control ACC, ein Komfortsystem mit Zusatznutzen für die Sicherheit, zeigt dies ebenso wie Systeme zur Spurhalteassistenz oder unser integraler Sicherheitsansatz APIA, in dem aktive und passive Sicherheit zu einem gesamtheitlichen Schutzsystem integriert sind“, erklärt Rieth. Systeme, die auf solchen Umfelddaten basieren, greifen heute jedoch nur in die Längsdynamik ein: Das Auto bremst – Beispiel ACC – autonom ab. „Wer einmal ein Fahrsicherheitstraining mitgemacht hat, weiß allerdings, dass Ausweichen oder Ausweichen und Bremsen in manchen Fällen besser ist als Bremsen allein“, sagt Dr. Rieth.

Continental Automotive Systems definierte daher mit den Instituten für Fahrzeugtechnik, Arbeitswissenschaft und Automatisierungstechnik der TU Darmstadt für das Projekt PRORETA ein besonders ambitioniertes Ziel: Es galt, ein Basiskonzept für ein Fahrerassistenzsystem zur Vermeidung von Auffahrunfällen zu entwickeln und in ein gestelltes Forschungsfahrzeug zu integrieren. „Hierzu wurde das Fahrzeug mit einem Lasersensor und einer Videokamera zur Beobachtung des vorderen Verkehrsraumes ausgerüstet. Diese Sensoren wurden erstmalig im Rechner zu einem virtuellen Sensor zusammengeführt, der ein sehr präzises Gesamtabbild des vorderen Verkehrsraumes liefert. Eine fremdansteuerbare Bremse und eine so genannte Überlagerungslenkung ermöglichen auf Basis der von einer leistungsfähigen Rechnerplattform ermittelten Vorgaben, Bremsmomente und/oder Radlenkbewegungen in Überlagerung zur Fahrerbetätigung oder auch gänzlich autonom“, erklärt Prof. Hermann Winner vom Institut für Fahrzeugtechnik.

Der Rechner entwickelt aus der Beobachtung des vorderen Verkehrsfeldes mögliche Gefahrenszenarien. Wird eine drohende Kollision erkannt, greift PRORETA im physikalisch letztmöglichen Moment situationsangepasst ein. „In der Regel leitet es eine Notbremsung mit maximaler Verzögerung ein, wobei das ABS und ESP die Fahrstabilität auch bei schwierigen Fahrbahnverhältnissen garantieren. Ist die Zeitspanne für eine reine Notbremsung zu kurz, sucht das System eine Ausweichbahn, auf der es das Auto um das Hindernis versucht herumzuführen“, schildert Prof. Rolf Isermann vom Institut für Automatisierungstechnik der Technischen Universität Darmstadt die Eingriffsstrategien.

Wichtiger Forschungsaspekt: Akzeptiert der Fahrer die Systemeingriffe?

Eine dedizierte Aufgabenstellung an die Wissenschaftler war die Erforschung der Fahrerreaktionen auf die Systemeingriffe. „Das Spektrum der Akzeptanz reicht von hoher Zustimmung über den Eindruck, den Unfall doch ganz allein ohne elektronische Assistenz vermieden zu haben, bis hin zum Unbehagen bei dem Gedanken, dass der Ausweichimpuls des Systems das Auto in den Gegenverkehr steuern könnte“, nennt Prof. Kurt Landau vom Institut für Arbeitswissenschaft Erkenntnisse der Fahrversuche mit geübten und ungeübten Probanden. „Unabhängig von technischen Fragen, die auf dem Weg zum ausweichenden Auto noch zu beantworten sind, tangiert ein solches System auch rechtliche Fragen“, dämpft Dr. Peter E. Rieth Hoffnungen auf einen baldigen Serieneinsatz. „Da wird die übliche Diskussion geführt – über so grundsätzliche Aspekte wie das Selbstbestimmungsrecht des Menschen wie auch über die mehr praktische Frage, wer die Verantwortung trägt für den Fall, dass es trotz oder – noch schlimmer – wegen eines Systemeingriffs zu einem Unfall kommt.“

PRORETA-Weiterentwicklung: Einbezug von Gegenverkehrsszenarien

Prof. Isermann ergänzt: „Mit diesem Forschungsprojekt haben wir uns auf zwar öfters anzutreffende, aber doch sehr spezielle Gefahrensituation im Autobahnverkehr konzentriert. Um generell, das heißt für alle möglichen Fahrsituationen sicherzustellen, dass beim Ausweichen kein neuer Gefahrenherd entsteht, müssten auch Sensordaten über das Umfeld neben und hinter dem Fahrzeug in die Eingriffsstrategien eingebunden werden. Auch die Bugsensoren und die Elektronik müssten erweitert werden, um Gegenverkehrsszenarien mit abzudecken.“ Daher soll das bereits beschlossene Anschlussprojekt PRORETA II ergründen, ob sich ein in hohem Maß akzeptiertes System darstellen lässt, das etwa beim Überholen durch Informationen über das vordere Fahrzeugumfeld assistiert.

Erkenntnisgewinnung, Praxiserfahrung für Studenten, Nachwuchs für die Industrie

Mit der Technischen Universität Darmstadt verbindet Continental Automotive Systems eine langjährige Partnerschaft. Das erste gemeinsame Forschungsprojekt mit dem Fachgebiet Fahrzeugtechnik begann schon in den 80er Jahren. Prof. Rolf Isermann betont: „Projekte wie PRORETA sind uns wichtig. Sie ermöglichen unseren Studentinnen und Studenten eine spannende Forschungsarbeit mit enger Anbindung an Wirtschaftsunternehmen.“ Dr. Peter E. Rieth verdeutlicht die Intentionen von Continental Automotive Systems: „Wir sehen es als unternehmerische Aufgabe, die Kooperation von universitärer Wissenschaft und Wirtschaft stärker zu fördern.“ Gerade heute, wo der Staat die Hochschulen in die Autonomie entlasse, seinen Einfluss und seine finanzielle Ausstattung zurückfahre, müsse die Industrie ihren Beitrag leisten für die Ausbildung qualifizierter Ingenieure. Dr. Rieth weiter: „Es ist für Deutschland von essentieller Bedeutung, Talente zu fördern. Dazu möchten wir bei Continental Automotive Systems unseren aktiven Beitrag leisten, einen Beitrag, der uns unserem Ziel der Vision Zero, des Straßenverkehrs ohne Tote und Schwerverletzte, ein Stück näher bringt.“

Vision Zero – zu diesem ehrgeizigen Ziel haben sich viele europäische Regierungen, Autohersteller und Zulieferer bekannt. Vision Zero heißt: Der Straßenverkehr der Zukunft soll so sicher sein, dass weder Tote noch Schwerverletzte zu beklagen sind.

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