Winterreifenmarkt wächst und wächst

Der westeuropäische Pkw-Winterreifenmarkt hat sich in der vergangenen Saison mit einer Steigerung von 7,9 Prozent überdurchschnittlich stark entwickelt – es wurden beinahe 35,5 Millionen Einheiten auf dem Ersatzmarkt abgesetzt. Wie die Europool-Zahlen vermuten lassen, werde das Marktwachstum auch im Winter 2005/2006 anhalten. Aber auch im 4×4- wie in Llkw-Segment steht ein weiterer Ausgleich zwischen Sommer- bzw. Ganzjahres- sowie Winterprofilen bevor. Die europäische Reifenindustrie zeigt sich weitest gehend vorbereitet auf die anstehenden Dispositionen des Handels. Eine Ausnahme scheinen allerdings Winterreifen mit Notlaufeigenschaften zu sein.

In 2004 sind laut Europool in Westeuropa 162,2 Millionen Pkw- und 4×4-Reifen verkauft worden (Sell-in). Ein Jahr zuvor waren dies noch 157,9 Millionen Einheiten, was also einer Steigerung des Ersatzmarktes von 2,75 Prozent entspricht. Die Winterreifen machten daran vor zwei Jahren einen Anteil von 21,3 Prozent aus, was allerdings im vergangenen Jahr um 1,2 Punkte auf 22,5 Prozent anwuchs. In absoluten Zahlen bedeutete dies einen Absatz von Pkw- und 4×4-Winterreifen in 2003 von 33,6 Millionen Einheiten im Vergleich zu 36,5 Millionen Einheiten in 2004, was einer Steigerung von immerhin 8,5 Prozent entspricht. Daran ist deutlich die wachsende Bedeutung des 4×4-Wintersegments in Westeuropa abzulesen; wie oben erwähnt, stieg das Pkw-Wintersegment in 2004 im Vergleich zum Vorjahr um 7,9 Prozent; das 4×4-Wintersegment hingegen wucht um 37,1 Prozent auf jetzt 1.007.984 Einheiten. Der westeuropäische Ersatzmarkt für Llkw-Winterreifen hat sich den Europool-Zahlen entsprechend in 2004 um 7,3 Prozent vergrößert, hängt also dem Marktdurchschnitt leicht hinterher. Dabei zeigt sich allerdings auch insbesondere der europaweite Trend hin zu größer dimensionierten Llkw-Reifen. Während entsprechende Reifen in 14 Zoll rückläufig waren, gingen 15-Zoll-Reifen deutlich besser. Am besten allerdings verkauften sich in 2004 Llkw-Wintereifen der Dimension 16 Zoll und größer (+16,6 %).

Ein ähnlicher Trend hin zu höherwertigen Winterreifen lässt sich auch im Pkw-Segment ablesen. Winterreifen mit dem Geschwindigkeitsindex T (bis 190 km/h) stellen zwar immer noch die bedeutendste Gruppe dar mit einem Anteil von etwa zwei Drittel am Gesamtwinterreifenmarkt Pkw in Westeuropa. In der Summe wurden auch in 2004 6,6 Prozent mehr Pkw-Winterreifen mit diesem Speedindex von der Reifenindustrie an den Handel vertrieben. Das Wachstum liegt allerdings mit 1,3 Punkten deutlich unter dem Marktwachstum – T-Reifen verlieren folglich weiter an Bedeutung auf dem Markt.

Zu den großen Gewinnern im Pkw-Winterreifensegment zählen sicherlich Reifen mit den Speedindizes H sowie V und größer. Im vergangenen Jahr wurden in Westeuropa rund 508.000 Pkw-Winterreifen verkauft, mit denen Autofahrer wenigstens 240 km/h fahren dürfen. Dies entspricht einer Steigerung von 20,1 Prozent gegenüber 2003. Aber auch von mit H indizierten Pkw-Winterreifen wurden im vergangenen Jahr 8,4 Prozent mehr abgesetzt als noch ein Jahr zuvor, so die Europool-Zahlen. Dieses Wachstum liegt also auch noch oberhalb des allgemeinen Marktwachstums für Pkw-Winterreifenmarktes in Westeuropa von 7,9 Prozent.

Wenn in diesem Zusammenhang von „Westeuropa“ die Rede ist, meint die Europool-Statistik, die vom BLIC (Bureau de Liaison des Industries du Caoutcheouc; European Association of the Rubber Industry) erstellt wird, folgende Staaten: Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Irland, Großbritannien, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Frankreich, Schweiz, Österreich, Spanien, Portugal und Italien.

Deutschland wichtigster Markt in Europa

Der wichtigste europäische Winterreifenmarkt ist ohne Frage Deutschland. 19,2 der 35,5 Millionen Pkw-Reifen, die im vergangenen Jahr auf dem deutschen Ersatzmarkt verkauft wurden, waren Winterreifen. Das entspricht einem Anteil von 54 Prozent, die allein in Deutschland abgesetzt werden (Europool-Daten). Dieser Anteil ist im Wesentlichen stabil geblieben im Vergleich zu 2003, als in Deutschland noch 17,7 Millionen Pkw-Winterreifen vermarktet wurden. Da die Europool-Zahlen nicht die Importprodukte von Herstellern wiedergeben, die eben keinen eigenen Produktionsstandort in Europa haben, unterscheiden sich diese Zahlen natürlich von den Zahlen, die der BRV regelmäßig veröffentlicht. Dem Bundesverband Reifenhandel zufolge wurden in Deutschland im vergangenen Jahr 21,1 Millionen Pkw-Winterreifen verkauft (Sell-out) – diese Zahl liegt knapp zehn Prozent über den Europool-Daten für Deutschland. Im Jahr davor wurden in Deutschland laut BRV noch 20,6 Millionen Pkw-Winterreifen verkauft, so dass hier eine Steigerung von 2,4 Prozent stattgefunden hat. Beim Sell-in laut Europool ergibt sich für Deutschland im Vergleich 2004/2003 sogar eine Steigerung von 8,3 Prozent. Daran lässt sich erkennen, dass die Lagerbestände im deutschen Reifenfachhandel im vergangenen Jahr deutlich angestiegen sein dürften.

Der BRV rechnet dennoch für das laufende Jahr mit einer leichten Steigerung beim Absatz von Pkw-Winterreifen an Verbraucher. Wie der Verband mitteilt, dürfte der Absatz bei 21,65 Millionen Einheiten liegen, was einer Steigerung gegenüber dem vergangenen Jahr von 2,5 Prozent entsprechen würde. Der Gesamtabsatz an Pkw-Reifen soll im gleichen Zeitraum allerdings nur um knapp 0,3 Prozent steigen, was einer Stagnation des deutschen Marktes gleichkommt.

Ein besonderes Marktwachstum soll das Llkw-Segment laut BRV erfahren. Während in 2004 gut 1,22 Millionen solcher Winterreifen an Endverbraucher in Deutschland verkauft wurden, sollen dies im aktuellen Jahr bereits 1,36 Millionen sein – dies entspräche einer Steigerung von knapp zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr und läge somit weit über dem Marktwachstum in Deutschland (+4,2 % bei Llkw-Reifen).

Winterreifen bleiben ohne Bedeutung

Der britische Reifenmarkt kommt nach wie vor scheinbar bestens ohne Winterreifen aus. Trotz Kampagnen des Reifenhandelsverbands NTDA, mit denen der Absatz so genannter „Cold Weather Tyres“ verbessert werden soll, bleibt Großbritannien im Vergleich zum deutschen Winterreifenmarkt weitest gehend bedeutungslos. Der Markt ist seit 2001 sogar noch um 27,2 Prozent geschrumpft. Von den 34.830 Pkw-Winterreifen, die in 2001, im britischen Reifenhandel laut Europool-Zahlen abgesetzt wurden, blieben in 2004 noch 25.362 Einheiten übrig. Diese Absatzzahlen liegen weit unterhalb von einem Prozent dessen, was in 2004 in Deutschland abgesetzt wurde. Unter Hinweis auf das britische Wetter mit jährlichen Durchschnittstemperaturen um die elf Grad, während dies in Deutschland eher um die acht Grad mit größeren Ausschlägen in der Statistik sind, glauben die meisten Reifenhändler in Großbritannien auch kaum an eine Entwicklung wie auf dem europäischen Kontinent. Winterreifen, so wird der NEUE REIFENZEITUNG in Großbritannien immer wieder bestätigt, seien bestenfalls lukrative Nischenprodukte. So wurden beispielsweise im vergangenen Jahr in Großbritannien 32 (!) Winterreifen mit Notlaufeigenschaften verkauft.

Knapper Markt bei Runflat-Winterreifen

Insgesamt, so schätzt man beim Bundesverband Reifenhandel, werde der Reifenhandel „ordentlich disponieren“, so Geschäftsführer Hans-Jürgen Drechsler. Allerdings laufe die Bevorratung der Handelsbetriebe derzeit noch auf Hochtouren, so dass sich definitive Aussagen über die Verfügbarkeit bestimmter Größen, Profile, etc., noch nicht treffen lassen.

Wie sich aber bereits andeutet, so Drechsler weiter, werde es wenigstens in Deutschland ein Verfügbarkeitsproblem bei Winterreifen mit Notlaufeigenschaften geben, kündigt der BRV an. Dies werde, so Drechsler weiter im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG, wohl alle Hersteller mit solchen Systemen betreffen: Bridgestone, Continental, Dunlop, Goodyear, Michelin und Pirelli. „Alle haben Probleme bei der Auslieferung“, wie sich bereits zu Beginn der Disponierungsphase zeige. Insbesondere mache sich der neue 3er BMW am Markt bemerkbar, der seit Mitte des Jahres verfügbar ist. Dies sei das erste Volumenfahrzeug, das ausschließlich mit Notlaufreifen auf den Markt gebracht wird und von dem zwischen März und August bereits knapp 100.000 Einheiten verkauft wurden.

Die Gefahr einer „möglichen Verknappung“ bei Winterreifen mit Notlaufsystemen sieht auch Pirelli. Wie Michael Borchert erklärt, gebe es „bereits jetzt eine hohe Nachfrage nach diesen Produkten“. Diese Nachfrage nach Winterreifen mit Notlaufeigenschaften betreffe alle Hersteller, so der Leiter Vertrieb Reifenhandel bei Pirelli Deutschland. Während 2003 noch 49.000 Notlaufreifen (Winter; Sell-in) in Deutschland verkauft wurden, waren dies 2004 bereits 196.000 Einheiten, was einer Vervierfachung entspricht. Im aktuellen Jahr, so Borchert weiter, wird eine Absatz von 600.000 Einheiten erwartet, in 2006 sogar von 900.000. Dies entspricht also einer Steigerung von immer noch um gut 300 Prozent in 2005 gegenüber dem Vorjahr sowie um 50 Prozent im kommenden Jahr bei Winterreifen mit Notlaufeigenschaften, von denen so gut wie keine in die Erstausrüstung gehen. „Das Wachstum ist sehr stark in diesem Bereich“, so der Vertriebsleiter im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG, und weist ebenfalls auf den treibenden Faktor der Erstausrüstung hin: siehe BMW und der neue 3er. Als Reifenhersteller, der Notlaufsysteme in die Erstausrüstung liefert, habe man also entsprechende Vorkehrungen für die jetzt auf Hochtouren laufende Saison treffen müssen. Bei Pirelli etwa werden die Runflat-Reifen – ob Euphoria, Sottozero oder Snowsport – allesamt im MIRS-Verfahren hergestellt. Dass hier die Kapazitäten nicht ohne Weiteres und im Handumdrehen angepasst werden können, liegt auf der Hand, sagt auch Borchert. Der Hersteller werde sich allerdings bemühen, so viele Bestellungen wie möglich aus dem Reifenfachhandel zu bedienen.

In welcher Größenordnung sich der Engpass bei Winterreifen mit Notlaufeigenschaften sein wird, ist auch dem BRV noch nicht ganz klar, da die Disponierungsphase derzeit noch läuft. Eins scheine sich aber bereits anzudeuten, kritisiert Hans-Jürgen Drechsler die Reifenhersteller, und zwar dass „vorwiegend ans Autohaus geliefert“ werde. Mit dieser Vermutung verbindet der BRV gleichzeitig die „legitime Forderung, dass wir genauso beliefert werden wie das Autohaus“. Eine solche generelle Bevorzugung des Distributionskanals Autohaus, der in den vergangenen Jahr stark an Bedeutung hinzugewonnen hat, kann Michael Borchert für Pirelli nicht bestätigen. „Wir sind ganz entschiedene Befürworter des qualifizierten Fachhandels“, so der Leiter Vertrieb Reifenhandel. Unter den beiden wichtigsten Vertriebskanälen Reifenfachhandel (2004: 57 % Marktanteil am Sell-out) sowie Autohaus (29 %) gebe es „keine Präferierung unter den Partnern“. Dennoch fordert Pirelli den Reifenhandel auf, möglichst frühzeitig zu ordern, da es zu Wartezeiten von vier bis sechs Wochen kommen kann. Es sei derzeit einfach schwierig vorherzusagen, wie sich neue Fahrzeugmodelle während der Wintermonate weiterhin verkaufen, so dass sich daraus unter Umständen eine Nachfrage nach Winterreifen mit Notlaufsystemen ergibt. Pirelli jedenfalls wolle die „gesamten Kapazitäten“ nutzen, um das Verknappungsproblem so gering wie möglich zu halten. Ob sich dieses Problem der „Kapazitätsprobleme“ insgesamt lösen lasse, so der BRV, sei aber nicht sicher.

Auch im Hause Continental erkennt man die wachsende Nachfrage auf dem deutschen Markt nach Winterreifen mit Notlaufsystemen deutlich. „Wir sehen ein starkes Wachstum, das sich durch die Massenfahrzeuge insbesondere von BMW (1er und 3er) noch um den Faktor drei bis vier erhöhen wird“, heißt es dazu in einem Statement des Hannoveraner Reifenherstellers und Automobilzulieferers. Wenn im vergangenen Jahr also etwa eine Million Reifen mit Notlaufsystemen verbaut wurden, so könnten von den verschiedenen Herstellern also in 2005 bis zu vier Millionen Einheiten in die deutsche Erstausrüstung geliefert werden, rechnet man bei der Continental AG, die ihre SSR-Technologie natürlich ebenfalls mit Winterprofilen anbietet. Derzeit gibt es den ContiWinterContact TS 810 Sport in drei Dimensionen mit Notlaufeigenschaften, für die kommende Saison sollen elf weitere Dimensionen hinzukommen. Darüber hinaus, so der Hersteller weiter, laufe derzeit „der Freigabeprozess“ für die Lieferung eines SSR-Winterreifens in die Erstausrüstung: „Wir stehen kurz vor dem ersten Abschluss.“ Continental wollte allerdings nicht mitteilen, mit welchen Automobilhersteller man derzeit verhandele. Hergestellt jedenfalls werden alle Continental SSR-Reifen in Deutschland, vertrieben werden sie weltweit.

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