Goodyear kann Ausblutung nicht stoppen – Die Lage bleibt kritisch

Goodyear-Chef Keegan musste am Mittwoch dieser Woche einen Verlust für das erste Quartal 2003 in Höhe von 163,3 Millionen US-Dollar eingestehen. Das sind genau 100 Millionen US-Dollar mehr als im ersten Quartal letzten Jahres. Damit hat der Konzern ein weiteres Mal enttäuscht. Obwohl Keegan versprach, sich so klar wie möglich auszudrücken, blieb auch nach der Analystenkonferenz das meiste im Dunkeln. Die Rettung soll über Kosteneinsparungen in der Größenordnung von 1 bis 1,5 Milliarden US-Dollar gelingen. Beobachter, die auch mit der Bekanntgabe einer Marketingoffensive gerechnet hatten, wurden ebenfalls ein weiteres Mal enttäuscht. Keegan blieb aber zudem auch Antworten darauf schuldig, woher diese Einsparungen konkret kommen sollten. Inzwischen wird die Goodyear-Aktie nur noch mit einem Wert von 3,50 bis 5 US-Dollar beziffert. Damit ist relativ klar, dass der Goodyear-Konzern weder eine realistische Chance hat, in diesem Jahr mit Gewinn abschließen zu können noch in der Lage sein wird, den dringend benötigten Cash Flow generieren zu können. Weil eine erneute Ausweitung der Kredite ausgeschlossen erscheint, wird der Druck, sich von Teilbereichen (Chemical Division und Engineered Products) trennen zu müssen, immer stärker. Keegan bedankte sich ausdrücklich noch einmal bei den Banken, die die Restrukturierung in dieser kritischen Phase begleiten. Doch die Lage werde auch auf absehbare Zeit noch kritisch bleiben. Pech für Keegan zweifellos, dass ihm derzeit auch ein Wind aus Gründen ins Gesicht bläst, die er gar nicht beeinflussen kann. So allgemein gestiegene Kosten bei allgemeinen Marktrückgängen in Nordamerika, dem in heftige Unordnung geratenen Heimatmarkt Nordamerika. Der Turnaround wird nur sehr sehr schwer gelingen können und auch nur dann, wenn dem Management jetzt keine weiteren Fehler unterlaufen. Schon der kleinste Ausrutscher wird genügen, darüber sind sich Beobachter einig, diesen großen und stolzen Konzern vom Markt verschwinden zu lassen. Das wirft ein Licht auf alle Restrukturierungsbemühungen: Goodyear hat für mittel- und langfristig richtige Entscheidungen überhaupt keine Zeit mehr, sondern bleibt darauf angewiesen zu tun, was für den Moment Erleichterung bringen kann. Und das ist auch der Grund, warum Keegan im Grunde nur von Einsparungen sprach. Allerdings sagte er nicht, dass dieser Konzern seit drei Jahren schon massive Einsparungen vorgenommen hat, um dennoch immer tiefer in das Desaster zu rutschen. Im Kampf gegen Michelin und Bridgestone haben die Amerikaner auf ihrem Heimatmarkt einfach den Kürzeren gezogen. Dabei sah alles nach dem erzwungenen Rückruf von Firestone-Reifen so vielversprechend aus. Doch anders als Michelin vermochte Goodyear von dem so oft beschriebenen “Flight to Quality” nicht profitieren. Schon Sam Gibara hatte Wall Street stets mit dem Hinweis beschworen: “the strategy is in place”. Und dann ging es weiter bergab. Die Aussage von Bob Keegan lautet heute ähnlich: “The turnaround is on track”. Und die schon gebetsmühlenhaft vorgetragene Erklärung, fünf von sechs Divisions seien profitabel und hätten sich weiter verbessern können, mag nett sein, hat aber den gewünschten Effekt nicht gehabt bisher. Und selbst wenn die osteuropäische Division den Umsatz und Gewinn durch eine Ausdehnung der Lieferung an Konzerngesellschaften von heute auf morgen verdoppeln würde, wäre es auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Goodyear-Management muss sich einfach endlich eingestehen, dass dieser Konzern verloren ist, wenn er sein Problem auf dem Heimatmarkt nicht in den Griff bekommt. Die Kraft aller anderen Divisions reicht nicht aus, diesem Konzern ein Überleben garantieren zu können. Wer sich von der Konferenz endlich Klarheit versprochen hatte, wurde maßlos enttäuscht. Ob Fabriken geschlossen werden, welche Fabriken geschlossen, welche Entlassungswellen ansonsten noch rollen werden, darauf gab es keine Antwort. Die Verhandlungen mit den Gewerkschaften laufen noch und bis zu deren Abschluss könne man nichts sagen, ohne die Verhandlungen zu belasten. So kann Keegans Versprechen der Kostenreduzierungen in solch gewaltiger Größenordnung derzeit nicht auf den Prüfstand gestellt werden. Noch schwieriger und zurückhaltender muss der weitere Versuch einer Margenverbesserung bewertet werden. In einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld können sich weder Michelin noch Bridgestone kampflos auf Absatzverluste einlassen, vielmehr werden sie alles in ihren Kräften stehende tun, ihre Absatzzahlen zu halten. Zudem müsste Goodyear mindestens ebenso stark in Marketing und Werbung in die Führungsmarken Goodyear und Dunlop investieren, um mit den Führungsmarken der großen Konkurrenten, Bridgestone/Firestone bzw. Michelin/BFGoodrich, mithalten zu können. Das Goodyear-Management hat einen Plan entworfen, dem zwar die notwendigen Zahlen für heute und die nächsten zwei Jahre zu entnehmen sind, aber es blieb konkrete Ausführungen dahingehend schuldig, wie diese Zahlen erreicht werden sollen. Positiv abzumerken bleibt aber, dass unter Keegan endlich ein CEO angetreten ist, der die Dinge nicht verharmlost noch nebulös umschreibt, sondern sagt, was Sache ist: “Die Lage im April war kritisch und wir bleiben auch nach gelungener Finanzrestrukturierung in einer kritischen Lage!” klaus.haddenbrock@reifenpresse.de

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