Pirelli: Umsatz und Ertrag zufrieden stellend

Welchen Sinn macht es noch, Strategien und Maßnahmen auf kleine oder größere nationale Länder zu begrenzen, wenn sich tatsächlich Wirtschaftsräume gebildet haben? Der deutsche Markt ist wichtig genug, aber man kann besser direkt den deutschsprachigen Raum als Wirtschaftsraum betrachten, der noch wichtiger und zudem auch einheitlich zu bearbeiten ist. Nicht erst nach Einführung des Euro haben sich neue Räume ergeben, die Grenzen waren auch schon zuvor kaum noch zu sehen. Konzerne haben demnach auch keine nationalen Märkte mehr im Visier, sondern nur ihre Kunden. Große und über Landesgrenzen hinweg tätige Reifenfachbetriebe können in Deutschland nicht anders bearbeitet und beliefert werden als in Österreich oder in Holland, ebenso wenig die europaweit tätigen Automobilkonzerne. Die Welt ist kleiner geworden, die Rede ist vom “globalen Dorf”, und da wäre es ja äußerst komisch, wollte man Zäune auf dem Weg von Flensburg über Salzburg nach Mailand errichten oder erhalten. Die Botschaft ist somit ganz einfach und ziemlich klar: Der italienische Reifenkonzern wird europaweit zentral von Mailand aus geführt werden, und die ehemaligen “Landesfürsten” finden sich heutzutage dann eher in der Rolle des Leiters einer Verkaufsniederlassung wieder. Diese Entwicklung ist in der gesamten Branche so zu verfolgen. Ob Pirelli als Reifenhersteller Nummer fünf oder hinter der sich nun auf Asien beschränkenden Sumitomo Rubber Industries (Dunlop) erst auf Rang sechs folgt, ist nur schwer zu entscheiden. Auf jeden Fall aber ist dies richtig: Pirelli ist der bekannteste und wohl wichtigste Pkw-Breitreifenvermarkter weltweit, und das Unternehmen will diese Position nicht nur verteidigen, sondern ausbauen. Im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG erklärte Dr. Francesco Gori, der seit dem letzten Jahr Chef der Reifensparte ist, wohin die Reise gehen soll. Mit einem Umsatz von 7,5 Milliarden Euro konnte der nun auch in den Telekommunikationsbereich strebende Pirelli-Konzern einen EBIT von 295 Millionen Euro erzielen. Davon hat die Reifensparte einen Umsatz von 2,83 Milliarden Euro und einen EBIT von 172 Millionen Euro (6,1 Prozent vom Umsatz) beigetragen und damit mehr oder weniger sowohl im Umsatz als auch im EBIT die Zahlen des Jahres 2000 wieder erreicht. Pirelli ist, so die Überzeugung von Dr. Gori, als Reifenhersteller im Grunde ebenso stark wie Michelin, weil sich das Unternehmen nicht um alles gleichermaßen in der ganzen Welt kümmert, sondern sich mehr und mehr darauf spezialisiert hat, wovon es am meisten versteht. Der Markt wird von Menschen gemacht, er braucht gute Produkte und die Menschen fragen nach Produkten, denen sie Vertrauen schenken können. Somit sind Marken gefragt. Und in der Marke liegt der eigentlich überragende Wert des Reifenherstellers. Das sind in erster Linie Super-High-Performance-Reifen. In diesem Segment ist Pirelli vielleicht sogar weltweit führend. Während es kurzzeitig so schien als wolle Pirelli sich vollständig durch Verkauf an einen Wettbewerber aus dem Nutzfahrzeugreifengeschäft zurückziehen, sind Pläne solcher Art nun aber wieder ad acta gelegt. Dazu mögen Gründe unterschiedlichster Art geführt haben. Erstens hätte ein Käufer vorhanden sein müssen, der die Nutzfahrzeugreifensparte zu Konditionen erworben hätte, die Pirelli für angemessen hielte. Zweitens werden in einigen Fabriken sowohl Nutzfahrzeugreifen als auch Pkw-Reifen produziert, sodass mit einem Verkauf der Sparte nicht zugleich auch die Fixkosten weg wären. Drittens gibt es Länder, in denen Pirelli auch mit Lkw-Reifen eine gute Marktposition hat, so in südeuropäischen Ländern und in Lateinamerika. Viertens verdienen die Italiener aber auch insgesamt mit der Produktion und Vermarktung von Nutzfahrzeugreifen immer noch Geld. Grob gesagt, tragen Nutzfahrzeugreifen 30 Prozent zum Reifenumsatz bei. Dieses Verhältnis wird sich in mittlerer Zukunft auf 20 (Lkw-Reifen) zu 80 (Pkw-Reifen) verschieben. Dr. Gori lässt auch nicht den geringsten Zweifel daran, dass überproportional in den Pkw-Reifenbereich und nur unterproportional in den Lkw-Reifenbereich investiert wird und man sich vor allem in keinem Markt der Welt Marktanteile kaufen werde. Wo man mit Nutzfahrzeugreifen nicht profitabel sein kann, muss man weichen. Mit dem angestrebten Verhältnis von 20 zu 80 zu Gunsten von Pkw-Reifen steht Pirelli unter allen bedeutenden Reifenhersteller ziemlich einzigartig dar. Nicht Größe sei entscheidend, sondern Effizienz, dass man gute Produkte als erster im Markt habe und schnell und flexibel auf Anforderungen reagieren könne. Pirelli führt den Breitreifenbereich nach Goris Überzeugung mit immer wieder neuen Produkten an, hat eine gute Verankerung im Erstausrüstungsgeschäft und ist damit den meisten Wettbewerbern voraus, was sich schon aus den Homologationen ersehen lässt. Es ist nun einmal bei der Dimensionenvielfalt und angesichts der Tatsache, dass ständig neue Größen und neue Ausführungen verlangt werden, von allergrößter Wichtigkeit, sehr früh im Markt zu sein. Schneller als jemals zuvor gelingt es Mitbewerbern, etwas nachzubauen. So lange Pirelli sich aber am Anfang der Entwicklung behaupten kann, wird das Unternehmen mit den neuen Produkten auch überdurchschnittlich gut verdienen können. Eines der Hauptaugenmerke von Pirelli liegt zurzeit auf dem amerikanischen Markt. Seit drei Jahren haben die Italiener ihre Marke von Cooper verkaufen und betreuen lassen und sich im Gegenzug dafür eine Kundenbasis versprochen. Ferner wurde angenommen, auch die Cooper-Kunden seien an Mehr-Marken-Strategien interessiert, sodass sich Pirelli im obersten Segment sah. Die Annahme einer Umsatzverdoppelung von rund 200 Millionen US-Dollar auf 400 Millionen US-Dollar hat sich jedoch nicht erfüllt, sodass die Entscheidung getroffen wurde, die Allianz mit Cooper zu beenden. Die Vorteile waren aus italienischer Sicht nicht ausreichend. Es kam aber auch hinzu, dass sich die Welt für Reifenhersteller in den USA auch allmählich ändert. Automobilhersteller haben Pirelli ermutigt, sich um EA-Aufträge zu bewerben, weil man offenbar nach dem Pech mit Firestone-Reifen die Auftragsvolumina auf mehrere Lieferanten verteilen möchte. Momentan werden Reifen für die USA u.a. auch in Brasilien hergestellt und in die USA exportiert. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um 65er Reifen und ähnliche, die zwar immer noch mit der traditionellen Technologie, aber doch neuestem Equipment gefertigt werden. Sobald die MIRS-Fabrik, die derzeit in der Nähe von Atlanta gebaut wird und noch im Verlauf diesen Jahres die ersten Reifen produzieren soll, richtig läuft und last but not least Reifen mit Notlaufeigenschaften möglicherweise schon vom kommenden Jahr gesetzlich vorgeschrieben sein werden, versprechen sich die Italiener dort einen sehr interessanten und profitablen Markt, auf dem es bisher aber nach eigenem Eingeständnis immer sehr schwer war, ausreichende Gewinne erwirtschaften zu können. Aber Gori will in Amerika endlich richtig vorankommen: “Wir müssen wachsen, und es wird notwendig sein in den beiden Amerikas die heutigen Grundlagen spürbar auszubauen und zu verbessern. Mexiko ist eines der Länder, das wir im Visier haben. Hier kann sich eine Reifenfertigung lohnen. In den USA verkaufen wir gar keine Lkw-Reifen mehr, aber in unserem Stammgeschäft mit Hochleistungsreifen wachsen wir im prozentual zweistelligen Bereich. In diesem großen Land haben wir unterschiedlich starke Verankerungen in den vielen US-Staaten von Ost nach West und dort gibt es noch sehr viel zu tun.” Auch nach der Aufgabe der Allianz sieht Gori im Übrigen keine Notwendigkeit, neben der Premiummarke Pirelli eine weitere Marke in das Verkaufssortiment aufnehmen zu müssen. “Jedenfalls jetzt nicht, noch nicht. Was kommt, wer weiß.” Nutzfahrzeugreifen Europa Gori macht kein Hehl daraus, dass die Strategie die Nutzfahrzeugreifensparte betreffend in letzter Zeit stets auf dem Prüfstand ist und sich Änderungen anbieten oder gar zwingend erforderlich sind. Anders als im Segment Pkw-Hochleistungsreifen geht es bei Nutzfahrzeugreifen in allererster Linie um Größe, um Produktionszahlen. Man werde, so Gori, mit Sicherheit keine neuen Produktionskapazitäten installieren und sich somit unter Druck bringen, ggf. sogar Marktanteile über den Preis erobern zu müssen. Im Übrigen kann er aber auch darauf verweisen, dass bereits jetzt der gesamte Nutzfahrzeugreifenbereich sich nahezu ausschließlich in Fabriken aus Niedriglohnländern abwickelt. So steht in der Türkei eine sehr bedeutende und sehr große Fabrik, die überwiegend, aber eben nicht ausschließlich Lkw-Reifen macht. Es gibt eine weitere Fabrik in Brasilien, die durchaus erfolgreich gesteuert wird, weil Pirelli in Lateinamerika im Nutzfahrzeugreifenmarkt eine ausgezeichnete Marktposition zu verteidigen hat. Und der Konzern ist damit beschäftigt, seine vor etwa zwei Jahren in Ägypten übernommene Lkw-Reifenfabrik auf Vordermann zu bringen. Wer mit der Produktion und Vermarktung von Lkw-Reifen Geld verdienen will, darf sich nach Goris Worten allerdings nicht allzu viele Fehler erlauben. Bei aller Zurückhaltung will er dennoch keine Schwarzmalerei betreiben. Der Markt für Lkw-Reifen wird vielleicht noch einmal stagnieren oder sich auch wieder leicht erholen, und ob das auch speziell für die USA Gültigkeit hat, kann Gori relativ gleichgültig sein, weil die Italiener dort offiziell schon keine Lkw-Reifen mehr verkaufen. Ein Hauptaugenmerk wird von Gori auf die permanente Verbesserung der Wertschöpfungskette gelegt sowie auf eine Optimierung logistischer Abläufe. Platt formuliert: Reifen, die irgendwo auf dem Lager liegen, kosten Geld, andere, die zu spät zum Händler kommen, werden von diesem durch Wettbewerber ersetzt. Es geht also darum, mit einem möglichst niedrigen Lager, ob beim Hersteller wie beim Händler, die Reifen vor Ort beim Verbraucher zu haben, die dieser heute haben möchte. Aufträge “in Rückstand” genommen zu haben, ist gleichbedeutend mit Verkaufschancen verschlafen zu haben. Je kleiner die Händler sind, umso weniger werden und wollen sie ans Lager nehmen. Und all diesen Herausforderungen begegnet man nach Goris Eindruck bei Pirelli sehr erfolgreich. Europäische Sichtweise Gori schätzt den deutschen Markt nicht allein wegen seiner Größe, sondern weil er die meisten Innovationen von Deutschland kommend oder von Deutschland angetrieben sieht. Man kann es sich bei Pirelli einfach nicht erlauben, die Position als strategischer Partner der Automobilindustrie in Deutschland in Frage zu stellen. Im Hochleistungsbereich dreht sich alles um die Klasse und die beste Qualität des Produkts. Das ist nur durch die hohen Anforderungen der Automobilindustrie zu gewährleisten, die die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Reifenhersteller mächtig fordert. Und das frühzeitige Erkennen dessen, was im Erstausrüstungsbereich vonstatten geht bzw. geplant ist, hilft auch, die Ersatzmärkte rechtzeitig bearbeiten zu können. Dabei ist eine gute Beteiligung am Erstausrüstungsgeschäft nach wie vor gut für einen sich ergebenden Nachlaufeffekt im Ersatzfall. Deshalb ist die gelegentlich anzutreffende Einstellung, die Italiener wollten den deutschen Markt nun quasi so nebenbei führen, alles andere als zutreffend. Auch und besonders das Spitzenmanagement lernt von den Entwicklungen in Deutschland sehr viel. Wie eingangs bereits erwähnt, sind die nationalen Grenzen nicht mehr vorhanden. Man bewegt sich auch in Europa nun allmählich wirklich auf eine Einheit zu. Dem müssen alle Anbieter Rechnung tragen. Heutzutage ist es ziemlich unerheblich, ob ein Reifen die Heizformen aus einer italienischen, deutschen oder türkischen Fabrik verlassen hat. Entscheidend sind erstens Qualität und zweitens Marke, Markenimage, Markenbekanntheit. So betrachtet man bei Pirelli den europäischen Markt als einen Gesamtmarkt mit der Folge, dass neue Produkteinführungen stets europaweit vorgenommen werden und die Preise in ganz Europa auch – von kleinen Abweichungen abgesehen – ziemlich einheitlich sind. Alles andere würde nur dazu führen, dass Reifen von Ost nach West bzw. von Nord nach Süd auf die Reise gesandt werden und sich so gleiche oder sehr eng beieinander liegende Preise ergeben. Neben dem europaweiten Auftritt müssen aber zur Feinabstimmung weiter lokale Bedürfnisse im Auge gehalten werden, denn mit einer Werbekampagne oder sonstigen noch so tollen Promotionkampagnen können weder Händler noch Verbraucher etwas anfangen, wenn sie nicht die Sprache noch die Inhalte verstehen. Zusammenfassung Nach allem wird deutlich, dass Pirelli nicht daran denkt, sich aus dem Reifengeschäft langfristig zurückzuziehen. Das ist ja schon wiederholt unterstellt und vermutet worden. Das Unternehmen ist groß genug, sich auf dem Weltmarkt behaupten zu können und auch ausreichende Erträge erwirtschaften zu können. Nicht groß genug ist Pirelli allerdings, um auch langfristig als Anbieter von Nutzfahrzeugreifen eine wesentliche Rolle spielen zu können. Dort, wo es Sinn macht, wo Geld verdient wird oder man aus unterschiedlichen Gründen, etwa um einem wichtigen Kunden ein Gesamtpaket anbieten zu können, wird man allerdings nicht weichen. Die Zukunft, das ist jedoch vollkommen klar, liegt für Pirelli im Hochleistungsbereich. Was heute diesem Bereich noch zugeordnet werden kann, ist morgen aber bereits Standard. Dann aber, sofern in Mailand weiter alles richtig läuft und richtig gemacht wird, hat sich Pirelli bereits in der nächsten Nische einen neuen Hochleistungsbereich gesucht und entwickelt ihn weiter zum größeren und aufnahmefähigeren Markt. Selbst im schwierigen Jahr 2001 hat Pirelli zwar nicht glänzend, immerhin aber doch im weltweiten Vergleich mit den Mitbewerbern sehr gut verdient. Pirelli agiert eben in den Märkten und Marktsegmenten, während viele der Wettbewerber immer wieder reagieren und die allerneuesten Produkte erst dann parat haben, wenn der Rahm bereits abgeschöpft ist. Für Dr. Gori ist ein Ausblick auf die kommenden zehn Jahre von größtem Interesse sowie die Beantwortung der Frage, welcher Reifenhersteller sich dann auch immer noch erfolgreich in welchen Märkten behaupten wird. Dass Pirelli wegen seiner Produkte und seiner starken Marke mit Sicherheit nicht nur noch dazu gehört, sondern sogar eine wesentliche stärkere Rolle spielen wird, ist für ihn ohne jeden Zweifel. klaus.haddenbrock@reifenpresse.de

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