Heftige Auseinandersetzungen zwischen Hannover und Traiskirchen

Gerangel, Gehaue und Durchstechereien prägen seit Jahren den Umgang der Konzernspitze in Hannover mit der Tochtergesellschaft Semperit Reifen Ges.m.b.H. in Wien. Entstanden ist auf der einen Seite wegen der Wehrhaftigkeit großer Teile der Belegschaft das Bild einer durch und durch renitenten Firma in Traiskirchen nahe Wien und auf der anderen Seite das Bild einer Konzernspitze, auf deren Zusage kein Schilling zu setzen ist. Und einen fürchten die österreichischen Belegschaftsmitglieder nach wie vor wie der Teufel das Weihwasser: den Physiker Dr. Hubertus von Grünberg, der erst als Vorstandsvorsitzender des Continental-Konzerns und nun als Oberaufseher viel Zeit darauf verschwende, dem Werk in Traiskirchen den Garaus zu machen, obwohl es nach österreichischer Ansicht keinen diese Maßnahme zu rechtfertigenden Grund gebe und eine Schließung nur als Geste höchster Undankbarkeit verstanden werden könne, weil Semperit-Traiskirchen dem Konzern ein Vielfaches dessen zurückgegeben habe, was der Konzern zuvor investiert habe. Es geht allerdings nicht um eine Frage von Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, das Problem ist weit vielschichtiger. Dass Semperit allein mit dem Werk Traiskirchen im kleinen österreichischen Heimatmarkt auf Dauer nicht überlebensfähig sein würde, ist eine relativ alte Erkenntnis bereits derer, die für den damals noch unabhängigen Hersteller Verantwortung trugen und die Blicke gen Osten richteten: Die Verbindungen mit Barum und Sava wurden nicht von den großen Strategen des deutschen Konzerns hergestellt, sondern den Österreichern. Damals haben diese allerdings weder befürchten noch sehen müssen, mit ihrer “Wiege Traiskirchen” einfach nur zu einer Art unverkäuflichen und somit zu schließenden Durchreichestation des Continental-Konzerns werden zu können. Warum, so argumentiert man heutzutage in Hannover, solle ein Wettbewerber das Werk Traiskirchen kaufen, wenn er nur 100 Kilometer weiter ostwärts ziehen müsse, um von den Segnungen der Billiglöhne beleckt werden zu können. Niemand vor ihm hat so massiv für eine Produktionsverlagerung in Billiglohnländer plädiert und für die Umsetzung gesorgt wie Dr. Hubertus von Grünberg, doch dabei ist auch viel Stückwerk geblieben. Riesenwerk in Otrokovice und nur ein kleiner Heimatmarkt Tschechien/Slowakei für Barum-Reifen. Aufbau riesiger Lkw-Reifenkapazitäten im Matador-Jointventure vor dem Hintergrund desselben kleinen Heimatmarktes. MMP-Fabrikation in Rumänien ebenfalls ohne Heimatmarkt. Dagegen haben die Wettbewerber Goodyear (Debica) und Michelin (Stomil) in Polen günstige Produktionsstätten und einen großen Heimatmarkt, der sich zudem noch hervorragend entwickeln lässt. Das Wirken von Grünbergs ist nur zu verstehen, wenn man sich seine Sicht der Dinge vergegenwärtigt. So sei er vom damaligen Aufsichtsratschef Dr. Weiss wegen seiner USA-Erfahrung geholt worden, um das Not leidende Amerika-Geschäft zu sanieren. Continental sei ein “Cliff-hanger” gewesen. Diesen Hintergrund braucht man und leuchtet ihn fein aus, um selbst als Sanierer und Turnaround-Spezialist glänzen zu können. Natürlich war diese Analyse schon damals falsch oder jedenfalls dramatisch übertrieben. Jetzt allerdings könnte es stimmen. Der “Cliff-hanger-Konzern” darf nach einem Jahrzehnt von Grünberg keinen weiteren Schritt mehr nach vorn riskieren. Nur Berufsoptimisten können behaupten, der Konzern stünde heute besser und besser positioniert da als vor einem Jahrzehnt. Der Konzern ist hoch verschuldet und ihm fehlt es an dem, was Großkonzerne überlebensfähig macht: Brand-Equity! Alles nur Schnee von gestern? Heute lautet die Frage: Ist Traiskirchen zu retten? Dort arbeiten knapp 1.500 Beschäftigte und produzieren für einen sich ohnehin unter Überkapazitäten biegenden Weltmarkt. Die bittere Wahrheit ist: Das Werk wird nicht mehr gebraucht, man braucht nur die Marke und den Markt und weiß nur nicht so recht, ob man das eine oder das andere halten kann. Hingewiesen von Arbeitnehmerseite wird auf die anfangs der 80er Jahre vorgenommene Schließung des Firestone-Reifenwerks in Pratteln/Schweiz und die Folge, dass der damalige Marktführer heute nur noch unter “ferner liefen” rangiere. Dieses Schicksal werde auch dem Continental-Konzern drohen, meint man vielsagend in Wien. Auch hier dürfte die Wirklichkeit eine andere sein. Firestone hatte sich damals aus dem Markt im nackten Überlebenskampf zurückgezogen, Reifen mussten per Container ab spanischem oder französischem Werk bestellt werden, es gab keine Infrastruktur, keinen Lieferservice mehr. Wenn heute in Traiskirchen die Lampen verlöschen, dürfte der Einfluss auf den Markt nahe Null liegen. In Österreich werden die Wogen hin und her gehen, und wenn den Betriebsräten erst die Telefone gekappt sind, erlischt das Interesse der Öffentlichkeit, der Presse und auch das der Politiker, die sich heute zur vermeintlichen Rettung von Arbeitsplätzen vor nahezu jeden Karren spannen lassen. Dann ist es wie auf Todesanzeigen: Gekämpft, gehofft und doch verloren. Und man muss sich den Dingen anders nähern: Meckern und Schimpfen bringt keine neuen Arbeitsplätze. Den Umgang miteinander haben die Deutschen und die Österreicher stark strapaziert. Von Grünberg glänzte vor Jahren schon mit markigen Worten, habe angeblich selbst den österreichischen Kanzler Vranitzki im Gespräch an die Wand gestellt, wurde kolportiert. Nicht kolportiert wurde allerdings, dass Vranitzki von Grünberg und Weiss zum vertraulichen Gespräch gebeten hatte, diese daraufhin in den Urlaubsort des österreichischen Kanzlers nachreisten und beim Verlassen des gecharterten Jets bereits – Überraschung, Überraschung – von Vertretern der schreibenden Zunft erwartet wurden. Mit der – damals ernsthaft geplanten – Schließung von Traiskirchen habe er, lässt sich in Wirtschaftsmagazinen nachlesen, einer 30-jährigen jungen Börsen-Analystin den Beweis erbringen wollen, auch ein Werk gegen Widerstände schließen zu können. Waren das alles mehr als Showeinlagen? Kernig sind die Umgangsformen geblieben. Wenn es gegen die “Piefkes” geht, wird Klartext geredet. Pressebeiträge, so einer aus dem Wirtschaftsblatt vom 5. November diesen Jahres, verraten zwar polemische Fähigkeiten seines Verfassers, bleiben von Sachkenntnis dennoch ziemlich ungetrübt, jedenfalls führen sie die Kontrahenten in der Sache nicht voran. Die Belegschaftsvertreter sollen nach dem Willen der Konzernspitze mäßigend wirken (ihnen sei empfohlen worden der Presse mitzuteilen, dass vertrauliche Gespräche stattfänden und man in diesem Moment keine weiteren Einzelheiten nach außen tragen wolle, heißt es in einer Aussendung des Betriebsrates), zu klaren Aussagen findet sich aber niemand bereit. Nicht einmal das von ihnen vorgelegte “Zukunftskonzept” sei hinterfragt oder kommentiert worden, was so viel Argwohn weckt, dass zum wiederholten Male alle Parteien des NÖ-Landtages alarmiert wurden und diese auch unisono “volle Unterstützung des Standortes zugesichert haben”. Mehr als leere Worte? Fragen, aber keine Antworten! Nach Schließung der belgischen Fabrik in Herstal und dem trotzdem folgenden dramatischen Ausbau riesiger neuer Produktionskapazitäten bei Matador kann die wieder ins Schlingern geratene europäische Nutzfahrzeugdivision die zur Verfügung stehenden Mengen nicht mehr absetzen. Die Gefahr, dass es eben die “Lkw-Reifenfabrik” in Traiskirchen trifft, ist sehr groß. In wiederkehrenden Abständen wird auch die “Pkw-Reifenfabrik” in Gislaved ins Gespräch gebracht. Das Problem Gislaved erklärt sich aus fehlender Brand Equity, weil eben niemals in Marken investiert worden ist. So muss man sich allein mal die Entwicklung des kleinen finnischen Reifenherstellers Nokian ansehen und mit der von Gislaved vergleichen, um zu sehen wo die erfolgreichen und weit weniger erfolgreichen Reifenverkäufer sitzen. Der Continental-Konzern liefert jedem, der nur zaghaft den Finger hebt, eine Private Brand (Argument: wenn nicht wir, dann liefern andere) und meint, die Probleme so wenigstens annähernd gelöst zu haben. Bis zum heutigen Tage ist eine Mehr-Marken-Strategie, jedenfalls keine, die diese Bezeichnung rechtfertigt, ersichtlich; weder in Europa noch in Deutschland. Es gibt eine günstige Marke, eine sehr preisgünstige und eine sehr billige Marke. Kann Traiskirchen überleben? Kann die Marke Semperit überleben? Bedingt das Überleben des Werks das Überleben der Marke? So viel ist schon mal klar: Der herbeigesehnte große internationale Reifenhersteller (vermutlich Bridgestone) mag zwar mit den Arbeitnehmervertretern gesprochen haben, er hat – so Conti-VV Wennemer – “momentan kein Interesse”. Ob die Marke Semperit verkauft würde, ist unbeantwortet geblieben und gilt eher als unwahrscheinlich. Wenn das “Zukunftskonzept” aus Traiskirchen nicht tragfähig genug sein sollte (auch andere Werke haben solche Konzepte zu erstellen), wird es letztlich um einen geordneten Rückzug gehen. Wer Augen und Ohren aufsperrt und zur Kenntnis nimmt, welche Maschinen und Anlagen bereits gen Osten transportiert worden sind und derzeit werden, kennt im Grunde die Antworten. Jede Seite muss auch heute noch um ihre Position ringen und ringen dürfen und jede Seite hat der anderen ein Minimum an Respekt entgegenzubringen. Nicht alles, was machbar ist, darf auch gemacht werden. Selbst wenn Traiskirchen geschlossen werden sollte und müsste, liegt es auch noch in der Verantwortung aller, die Marke nicht extra und über Gebühr zu beschädigen. Die Marke lebt weiter, trägt dazu bei, Ausstiegsszenarien finanzieren zu können und auch die Pensionen derer mitzufinanzieren, die ein Arbeitsleben im Dienste der Marke Semperit vollendet haben. Vielleicht gehört ohnehin eine andere Betrachtung in den Mittelpunkt: Haben Werke im Continental-Konzern ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren, oder wurden Märkte verspielt indem Marken ausgemolken wurden? Wie Gislaved genug Potenzial hatte, die Nokian der nordischen Länder werden zu können, so hätte Semperit wie Nokian im Süden Deutschlands, im Norden Italiens, in Österreich und der Schweiz sich als Marke behaupten können. Statt dessen schickt man Barum ins Rennen und schlägt auf die Preise. Wer sein Potenzial nicht ausschöpft, wird bestraft. Marktführer Michelin, mit riesigem Abstand vor allen anderen Nutzfahrzeugreifenherstellern in Europa, liefert bereits jetzt schon mehr als nur jeden zweiten Reifen in die Erstausrüstung von Mercedes-Benz. Ausgeschöpft alles? Mitnichten. In zwei, drei Jahren – so sieht es derzeit jedenfalls aus – könnte der Lieferanteil eher bei 70 Prozent als bei “nur” 60 Prozent liegen. Im Bemühen um immer schnellere Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer blieb der Blick der Verantwortlichen wohl an Fabrikhallen haften. Die Märkte traten in den Hintergrund. Die Verlagerung von Produktion in Billiglohnländer hat den Continental-Konzern nicht standfester und nicht wettbewerbsfähiger gemacht. Das Gegenteil ist der Fall. Was heute passiert, war schon vor zehn Jahren klar. Nur, es hat niemand zur Kenntnis nehmen wollen.

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